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Berlinale Nachlese: Yamada Yōjis und Abe Tsutomus ‚Kyōto Story‘

Als die Moderatorin vor dem Beginn der Aufführung auf der Berlinale den Film „Tōkyō Story“ ankündigte, war der Versprecher nicht ganz unberechtigt. Schließlich hat Yamada Yōji bei Ozu Yasujiro gelernt und den Titel bewusst an dessen ‚Tōkyō Story‘ (1953) angelehnt. Dies weist auf ein durchgehendes Motiv von ‚Kyōto Story‘ hin, denn im Film und in dessen Produktion geht alles um die Weitergabe von Wissen und die Fortführung von Traditionen von einer Generation zur nächsten.

‚Kyōto Uzumasa Monogatari‘, so der japanische Originaltitel, ist aus einer Zusammenarbeit des Shōchiku Filmstudios und der Ritsumeikan Universität entstanden. Die Shōchiku Studios liegen in genau dem Viertel von Kyōto, das der eigentliche Star des Films ist: Uzumasa. Früher war es das Zentrum der japanischen Filmindustrie, wo die Shōchiku, Daiei und Tōei Studios waren und wo Klassiker wie ‚Rashomon‘ entstanden. Auch heute noch werden dort ab und zu Filme gedreht, wenn auch die heutige Filmindustrie ihr Zentrum in Tōkyō hat, und es gibt dort auch den ‚Tōei Uzumasa Eiga Mura‘ (Tōei Uzumasa Filmpark), der die Vergangenheit wieder aufleben lässt.

Die Story dreht sich um die Bibliothekarin Kyoko (verkörpert von Hana Ebise), Tochter des Besitzers einer Reinigung in Uzumasa, die zwischen zwei Männern steht, ihrer Jugendliebe Kota, der davon träumt als Stand-up Comedian berühmt zu werden, und Enoki Daichi, einem Gastdozenten aus Tōkyō, der möchte, dass Kyoko ihn begleitet, wenn er für mehrere Jahre für einen Forschungsaufenthalt nach Beijing geht. Abgesehen von den drei Hauptdarstellern sind alle Schauspieler Laien, die sich größtenteils selbst spielen (eine weitere Ausnahme ist der Nachtwächter, der von einem bekannten ‚Butoh‘-Tänzer dargestellt wird). Dies und die in den Film eingeflochtenen Interviewszenen verleihen dem Film einen quasi dokumentarischen Charakter.

Die Geschichte wird mit viel Liebe zu den Figuren, insbesondere Nebenfiguren, erzählt. Studenten der Ritsumeikan haben ein Jahr lang in Uzumasa für den Film recherchiert. Sie haben mit den Menschen dort gesprochen und in den Geschäften als Aushilfen gearbeitet, um ein Gefühl für das Leben in dem Viertel zu bekommen.

Yamada Yōji hat sich für das Drehbuch von James Joyce und seinen ‚Dubliners‘ inspirieren lassen. Beides sind Liebeserklärungen an eine Stadt und ihre Menschen. Joyces Figuren versuchen einer hoffnungslosen Situation zu entkommen und schaffen es letztlich doch nicht. In der Kurzgeschichte ‚Eveline‘ plant diese mit ihrem Geliebten nach Buenos Aires auszuwandern. Ihre Mutter und ihr Bruder sind gestorben, ihr Vater ist ein gewalttätiger Alkoholiker, trotzdem kann sie sich ihrer Verantwortung für ihre Familie nicht entziehen und bringt es nicht über sich das Schiff zu besteigen.

„She felt her cheek pale and cold and, out of a maze of distress, she prayed to God to direct her, to show her what was her duty. The boat blew a long mournful whistle into the mist. If she went, to-morrow she would be on the sea with Frank, steaming towards Buenos Ayres. Their passage had been booked. Could she still draw back after all he had done for her? Her distress awoke a nausea in her body and she kept moving her lips in silent fervent prayer. […]No! No! No! It was impossible. Her hands clutched the iron in frenzy. Amid the seas she sent a cry of anguish. — Eveline! Evvy! He rushed beyond the barrier and called to her to follow. He was shouted at to go on but he still called to her. She set her white face to him, passive, like a helpless animal. Her eyes gave him no sign of love or farewell or recognition. “ (Link zum E-text)

Auch Kyoko entscheidet sich dagegen mit Enoki fortzugehen. Anders als bei Joyce jedoch ist das Leben, für das sie sich entscheidet, zwar auch hart, aber durch familiären Zusammenhalt und Wärme gekennzeichnet. Bei Yamada ist es wohl weniger die Unmöglichkeit zu Entkommen, als eine Entscheidung für etwas: Für die Familie und die heimatliche Gemeinschaft und für die Annahme von Traditionen. Dennoch hätte man sich für Kyoko ein glücklicheres Ende wünschen können als eine Zukunft als Heimchen am Herd.

Stephanie Klasen

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