Alle Artikel mit dem Schlagwort: Berlinale

Letzte Berlinale-Nachlese: Senzo ni naru („Roots“)

Ohayô! Kyô mo ganbarimashô! „Guten Morgen! Lass uns auch heute unser Bestes geben!“   Dieser Satz, gerufen durch einen gelben Trichter, steht am Anfang des Dokumentarfilms Senzo ni naru 先祖になる („Roots“), der bei der Berlinale vorgestellt wurde. Die Stimme, die durch den Trichter schallt, gehört zu Satô Naoshi, dem mittlerweile 79-jährigen Protagonisten des Films, den der Regisseur Ikeya Kaoru über mehr als ein Jahr begleitet hat. Naoshi, der von seinem gesamten Umfeld vertraulich beim Vornamen genannt wird, hat am 11. März 2011 seinen Sohn durch den Tsunami verloren und das Aramachi-Viertel (in Rikuzentakata, Präfektur Iwate), in dem er lebt, wurde weitgehend zerstört. Das ganbarimashô zu Anfang legt schon den Grundton des Films fest: Es geht nicht in erster Linie um das Leid der Menschen oder um politische Intentionen, sondern um das Schicksal einer einzelnen Person, die mit einem beinahe schon aggressiven Optimismus der gewaltigen Zerstörung trotzt. Das mag auf manche verengt wirken – erwartungsgemäß kam von deutschen Zuschauern der Kommentar, dass sie die Thematisierung von Fukushima vermissten –, trifft in Japan aber sicher auch einen …

Kein Dokumentarfilm über Walfang: Kujira no machi

Kujira no machi (Stadt der Wale), der auf der diesjährigen Berlinale in der Sektion Panorama gezeigt wurde, ist der Abschlussfilm und erste Spielfilm von Tsuruoka Keiko. Die Handlung dreht sich um die drei Jugendlichen Machi, Hotaru und Tomohiko, die durch Freundschaft aber auch unerwiderte Liebe miteinander verbunden sind: Hotaru liebt Tomohiko, Tomohiko liebt Machi und Machi ist in ihrer eigenen Welt versunken. Auf der Suche nach Machis verschwundenem Bruder, der die Familie vor sechs Jahren verließ, reisen die Freunde nach Tokyo. Da Tsuruoka fast kein Budget zur Verfügung stand, werden alle Rollen von Freunden und Bekannten übernommen, weshalb im Film auch keine Erwachsenen vorkommen. Diese Sachzwänge haben aber ein durchaus positives Ergebnis: Die Vertrautheit der Schauspieler untereinander und mit der Regisseurin erzeugt eine gewisse Intimität, von der der Film lebt und die Abwesenheit von Machis Mutter verdeutlicht die Einsamkeit von Machi. Auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht so scheint: Auch in diesem Film spielen die Ereignisse vom März 2011 ein wichtige Rolle. Als die Dreifach-Katastrophe passierte, verwarf Tsuruoka ihr bisheriges Drehbuch und …

Japan auf der Berlinale 2013 – Capturing Dad

Capturing Dad (Chichi o tori ni) von Nakano Ryota ist eine Hommage an die Familie. Genauer gesagt an die Mutter des Regisseurs und deren „Coolness“, meint Nakano. Seine Mutter zog ihn und seinen Bruder nach dem Tod seines Vaters allein groß (Nakano war zu diesem Zeitpunkt sechs Jahre alt). Im Film wurden die beiden Schwestern Koharu, 17, und Hazuki, 20, von ihrer Mutter aufgezogen, nachdem der Vater seine Familie für eine andere Frau verließ. Nun viele Jahre später bekommt die Mutter der beiden einen Anruf: ihr geschiedener Mann liegt im Sterben und die Mädchen sollen ihren Vater besuchen –  um Abschied zu nehmen und um für ihre Mutter ein Foto von ihm zu machen. Allerdings nicht aus sentimentalen Gründen, sondern damit sie über ihn lachen kann. Immer humorvoll und liebevoll folgt Nakano den beiden Schwestern, die von Yanagi Erisa und Matsubara Nanoka wunderbar gespielt werden, auf ihrer Begegnung mit der Familie des Vaters. Damit die Mädchen und Watanabe Makiko, die die Mutter der beiden spielt, eine überzeugende Familie darstellen konnten, ließ Nakano die beiden, die …

Yamada Yôjis Geschenk an sich selbst: Tôkyô Kazoku

Yamada Yôjis neuer Film Tôkyô Kazoku 東京家族 („Tokyo Family“), der am Mittwoch auf der Berlinale vorgestellt wurde, klingt zunächst mächtig schwergewichtig: Ein Film, mit dem der Regisseur das mittlerweile 50. Jahr seines Schaffens feiert, ein Remake von Ozus Meisterwerk Tôkyô Monogatari, und das auch noch zum 60. Jubiläum dieses Films, der 1953 erschienen ist. Allen Befürchtungen zum Trotz wurde es dann doch ein vergnüglicher Kino-Abend mit einem Film, dessen Drehbuch sehr nah am Original bleibt, aber seine ganz eigene Stimmung entwickelt, eine typische Yamada-Yôji-Stimmung mit vielen Momenten zum Schmunzeln und einigen zum traurig sein. Seine Qualität gewinnt Yamadas Film nicht aus einer Aktualisierung oder gar einem Einbezug virulenter gesellschaftlicher Tendenzen. Zwar wird auch das Leben der Familie Hirayama, die wir hier kennenlernen, ganz am Rande von der Katastrophe vom 11. März 2011 berührt, zwar bezeichnet sich einer der Söhne selbst als Freeter (wobei er als Bühnenbildner wohl eher der Kategorie „freier Künstler“ zuzuordenen wäre) – diese Elemente wirken jedoch eher wie Randbemerkungen, die Yamada notgedrungen fallen lässt, um nicht zu antiquiert zu wirken. Ansonsten hat sich nämlich für …

Japan auf der Berlinale 2013 / Cold Bloom

Die Auswirkungen der Katastrophe vom 11. März 2011 auf das Filmschaffen in Japan sind auch auf der diesjährigen Berlinale wieder sehr deutlich spürbar. Dass dieses Jahr nur fünf neue Filme aus Japan in Berlin vertreten sind – merklich weniger als in den Vorjahren – zeigt, dass die Filmindustrie sich nur langsam erholt. Drei der fünf Filme beschäftigen sich außerdem direkt oder indirekt mit der Katastrophe. Heute Abend feiert im Friedrichstadtpalast Yamada Yôjis neuer Film Tokyo Kazoku 東京家族 („Tokyo Family“) seine Premiere, ein Remake des Meisterwerks von Ozu Yasujirô. Ein gewagtes Projekt, auf das man gespannt sein darf. Funahashi Atsushi, der letztes Jahr seinen eindringlichen Dokumentarfilm „Nuclear Nation“ vorgestellt hat, präsentierte am Montag sein neues Werk Sakura namiki no mankai no shita ni 桜並木の満開の下に („Cold Bloom“), eine Liebesgeschichte, die sich in einer von dem Tsunami gebeutelten Region entfaltet.   „Cold Bloom“ ist aus einer Menge vielversprechender Zutaten zusammengemengt. Mit der Stadt Hitachi in Ibaraki-ken hat Funahashi Atsushi eine Location gefunden, an der sich vieles konzentriert: Die Zerstörung durch den Tsunami, der langsame Zerfall einer ehemaligen Keimzelle der …

Japan bei der Berlinale: Kazoku no kuni

Kazoku no kuni (internationaler Titel: „Our homeland“) ist ein Film, den eigentlich Stephanie Klasen besprechen müsste, unsere Expertin für Filme mit Japankoreaner-Thematik. Da sie aber gerade in Japan weilt, springe ich gerne ein, um diesen  gelungensten japanischen Spielfilm der Berlinale vorzustellen. Raffiniert ist schon der Titel Films, „Kazoku no kuni“ – „das Land meiner/unserer Familie“. Welches Land damit gemeint ist, bleibt bewusst offen, denn die Hauptfiguren stehen zwischen zwei Ländern, Japan und Nordkorea. Es geht um eine Familie von Japankoreanern (Zainichi), die schon seit mehreren Generationen in Japan lebt. Die Mutter kann schon nicht besonders gut Koreanisch und die Tochter Rie, eine Japanischlehrerin, spricht es gar nicht (auch wenn sie es versteht). Der Vater allerdings ist ein nordkoreanischer Patriot, der sogar der örtlichen nordkoreanischen Vereinigung vorsteht. Auf Betreiben des Vaters ist der Sohn, Sonho, – wie viele Japankoreaner, die sich davon ein besseres Leben erhofften – in den 1970er Jahren im Alter von nur 16 Jahren nach Nordkorea ausgewandert und konnte seither nicht einmal für einen Urlaub zurückkehren. Nun leidet er an einem Hirntumor und …

Ein Fukushima-Film von Iwai Shunji: „Friends after 3.11“

„Friends after 3.11“ von dem bekannten Independent-Regisseur Iwai Shunji ist eigentlich kein Film für die große Leinwand. Hauptsächlich zeigt er „talking heads“, das heißt Menschen die Fragen stellen – in diesem Fall sind das der Regisseur selbst und die Schauspielerin Matsuda Miyuki – und Menschen, die darauf antworten. Weil sich „Friends after 3.11“ aber mit der Katastrophe in Japan beschäftigt und der Film damit eine große Aktualität und Brisanz besitzt, hat es die Dokumentation dennoch auf die Berlinale geschafft. In Japan wurde der Film in einer anderen Version im Fernsehen gezeigt, ab 10. März lauft er auch im Kino. Es ist ein sehr breites Themenspektrum, das Iwai Shunji mit den Interviews anspricht, die er gemeinsam mit Matsuda Miyuki geführt hat, denn die Gesprächspartner könnten diverser nicht sein: Ein Teenie-Star in Schuluniform, der gegen Atomkraft protestiert, Professoren, den Vorsitzenen einer NGO, die sich gegen Selbstmord einsetzt, der Schauspieler Yamamoto Tarô, Journalisten und Regisseure. Viele sind enge Freunde des Regisseurs, der Film war Iwai ein großes Anliegen. Trotz dieser Vielfalt und Motivation bleibt der Ertrag jedoch leider …

Berlinale-Nachlese: „Vampire“ von Iwai Shunji

Einer fehlt noch: Mit einiger Verspätung folgt hier die Besprechung des Berlinale-Films „Vampire“ – ein japanischer Film und doch auch wieder nicht. Iwai Shunji ist der bekannteste japanische Regisseur, der in diesem Jahr auf der Berlinale zu Gast war. Filme wie „Swallowtail Butterfly“ (1996) oder „All about Lily Chou-Chou“ (2001) sind auch hierzulande vielen Cineasten bekannt. Mit seinem neuen Werk „Vampire“ betritt Iwai dahingehend Neuland, dass er den Film komplett in Kanada gedreht und produziert hat. Die Arbeit im Ausland mit englischsprachigen Schauspielern war für Iwai nichts völlig Neues, schon in seiner Anfangszeit als Regisseur kam Iwai nach Europa und in die USA, um Musikvideos zu drehen. Mit dem Episodenfilm „New York, I Love You“, an dem sich u.a. auch Fatih Akin beteiligte, hat Iwai 2009 erstmals die große Bühne des internationalen Filmgeschäftes betreten. „Vampire“ ist nun ein neuer Schritt in Iwais Karriere, was allerdings nicht heißt, dass der Film kein typischer Iwai-Film ist, im Gegenteil. Wie in früheren Werken widmet sich Iwai mit großer Aufmerksamkeit solchen Menschen, die ihren Platz in der Gesellschaft nicht …

„FIT“ – Kampf um Individualität auf der Berlinale

Eine japanische Versandfirma, ein Mann, der abends nur mit einem blauen Regencape und einer bestickten Plastikmaske vor die Tür geht, eine Frau, die ihren psychisch kranken Bruder pflegt – der Film FIT (Regisseur: Hiromasa Hirosue) zeigt in verschiedenen Konstellationen, wie Menschen in der japanischen Gesellschaft um Individualität kämpfen. Die 106 Minuten des Films lassen sich nicht leicht zusammenfassen; dazu gibt es zu viele Figuren und Szenarien. Zum einen gibt es Sagawa (Hiromasa Hirosue), der in einer Versandfirma angestellt ist und in seiner Freizeit mit Regencape und Maske bekleidet durch die Tokyoter Straßen läuft. Nitta (Shine Midori) hat ihre Großmutter gepflegt und ist seit deren Tod einsam. Deshalb ruft sie täglich in der Versandfirma mit fingierten Beschwerden an. Die neue Angestellte Ôki kümmert sich um diese Beschwerden, sie freundet sich mit Nitta an. In einem Gespräch gesteht sie ihre ungewollte Schwangerschaft. Außerdem gibt es noch Tahara (Nimiki Akie), die mit ihrem psychisch erkrankten Bruder Masaru (Arai Hideyuki) zusammenlebt und sich um ihn kümmert. Alle haben gemeinsam, dass sie nicht 100%ig in die gesellschaftlichen Strukturen passen und …