Kunst und Kultur

Yamada Yôjis Geschenk an sich selbst: Tôkyô Kazoku

Yamada Yôjis neuer Film Tôkyô Kazoku 東京家族 („Tokyo Family“), der am Mittwoch auf der Berlinale vorgestellt wurde, klingt zunächst mächtig schwergewichtig: Ein Film, mit dem der Regisseur das mittlerweile 50. Jahr seines Schaffens feiert, ein Remake von Ozus Meisterwerk Tôkyô Monogatari, und das auch noch zum 60. Jubiläum dieses Films, der 1953 erschienen ist. Allen Befürchtungen zum Trotz wurde es dann doch ein vergnüglicher Kino-Abend mit einem Film, dessen Drehbuch sehr nah am Original bleibt, aber seine ganz eigene Stimmung entwickelt, eine typische Yamada-Yôji-Stimmung mit vielen Momenten zum Schmunzeln und einigen zum traurig sein.

Seine Qualität gewinnt Yamadas Film nicht aus einer Aktualisierung oder gar einem Einbezug virulenter gesellschaftlicher Tendenzen. Zwar wird auch das Leben der Familie Hirayama, die wir hier kennenlernen, ganz am Rande von der Katastrophe vom 11. März 2011 berührt, zwar bezeichnet sich einer der Söhne selbst als Freeter (wobei er als Bühnenbildner wohl eher der Kategorie „freier Künstler“ zuzuordenen wäre) – diese Elemente wirken jedoch eher wie Randbemerkungen, die Yamada notgedrungen fallen lässt, um nicht zu antiquiert zu wirken. Ansonsten hat sich nämlich für ihn nicht viel geändert seit den 1950er Jahren, als Ozu seinen Film schuf, der so treffend die Kluft zwischen den Generationen im Nachkriegsjapan einfing. Fumiko, die Frau des ältesten Sohnes, sieht man die meiste Zeit mit Schürze in der Küche stehen, immer ihre Pflicht gegenüber der Familie erfüllend. Dass der schusselige Sohn Shôji, den Yamada sozusagen hat auferstehen lassen (bei Ozu war er im Krieg gefallen), plötzlich eine aufgeräumte Wohnung hat, liegt nicht an dessen persönlicher Entwicklung, sondern daran, dass er jetzt eine Verlobte hat – Noriko, der „Engel“ des Films, der sich rührend um die Schwiegereltern kümmert und vor der Ehe auf getrennte Schlafzimmer besteht. Die ryôsai kenbo („gute Ehefrau und weise Mutter“) lässt grüßen.

Wenn man aber die Haltung einnimmt, von dem mittlerweile 81-jährigen Yamada keine gesellschaftskritischen Statements zu erwarten, und sich auf die Geschichte einlässt, so macht sie durchaus Spaß,  nicht zuletzt wegen der großartigen Schauspieler, die der Regisseur gewinnen konnte. Wie bei Ozu wirkt das ältere Ehepaar, das von einer Insel vor Hiroshima nach Tokyo gereist kommt, wie aus einer anderen Zeit. Zwar hat die 68-jährige Tomiko (Yoshiyuki Kazuko) gelernt, wie man ein Handy benutzt, dennoch erscheint es in ihrer Hand wie ein Fremdkörper, wenn sie mit ihren Kindern telefoniert. Ihr Mann Shûkichi (Hashizume Isao) wundert sich, dass der Enkel abends noch zu einer Nachhilfeschule gehen muss: Taihen da ne – Tôkyô no ko wa. („Die Kinder in Tokyo haben es schon schwer“).

Eine der stärksten Episoden des Films ist der Kurztrip, den die Kinder ihren Eltern schenken, um sie für eine Weile loszuwerden – schließlich sind alle zu beschäftigt. Während Ozu seine Protagonisten nach Atami, ein Seebad, schickte, landen Tomiko und Shûkichi bei Yamada in einem schicken Hotel hoch über Minato Mirai, dem futuristisch anmutenden Viertel am Hafen von Yokohama. Ein Luxus, vor dem sie hilflos stehen wie Kinder. So sitzen sie schließlich am hellichten Tag in ihrem Zimmer und haben nichts anderes zu tun, als das Riesenrad vor ihrem Fenster bei seinen gemächlichen Drehungen zu beobachten und sich an ein erstes Rendezvous und den „Dritten Mann“ zu erinnern. Wenn das Ehepaar beinahe resigniert vor seinem feinen europäischen Essen und den zahlreichen Besteckoptionen des Nobelrestaurants sitzt, hat das nichts Lächerliches, sondern man fühlt einfach mit.

Yamada hat sich auch in der Wahl seiner Kameraeinstellungen an Ozu orientiert. Als Regieassistent hat er einst selbst miterleben können, wie der Meister seinen Szenenaufbau gestaltete. Spürbar wird die stilistische Hommage an Ozu vor allem in den häuslichen Episoden, in denen die Kamera häufig die „Tatami-Perspektive“, also die Perspektive eines am Boden sitzenden Menschen, einnimmt. Auch deshalb kommen wohl so viele Zimmer im japanischen Stil vor.

Yamada Yôjis Tôkyô Kazoku ist vergnüglich, aber ohne die Schärfe und Aktualität, die Tôkyô Monogatari auszeichnen. Wenn der alte Vater in Tôkyô Kazoku sagt „jetzt sind wir obdachlos“, dann lacht der Kinosaal. Bei Tôkyô Monogatari hatte dieser Satz eine ungleich resigniertere Note. Yamada als ewiger Optimist kann eben die Familie nicht verloren geben.

 

Einen Trailer gibt es auf der offiziellen Webseite.

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