Ein Beitrag von Angela Schuricht.
Ins kalte Wasser geworfen – der Anfang
Als ich während meines einjährigen Japanaufenthaltes im Januar 2020 zum ersten Mal von der neuen Variante des Corona-Virus (新型コロナウイルス) hörte, die schon kurz darauf zu „uns“ nach Yokohama kommen sollte, war ich nur wenig besorgt. Dass innerhalb kürzester Zeit Masken und Toilettenpapier zu Mangelware wurden, fand ich zu diesem Zeitpunkt sogar noch befremdlich. Da ich ohnehin Ende Februar wieder nach Deutschland zurückkehren sollte, erwartete ich, dass dort alles wieder ganz normal wäre. In Deutschland wäre ich so weit weg von der Krise, die ich in Japan kennengelernt habe, dass ich niemals erwartet hätte, dass wir 2 Jahre später noch immer inmitten einer globalen Pandemie wären.
Doch tatsächlich sollte schon etwa zwei Wochen nach meiner Rückkehr der erste Lockdown in Deutschland beschlossen werden und mir wurde der Ernst der Lage schlagartig bewusst. Auch der rasante Ausverkauf von Toilettenpapier und Masken wirkte dann gar nicht mehr so seltsam auf mich.
Zu Beginn des Sommersemesters änderte sich das Studium für uns alle drastisch. Innerhalb kürzester Zeit mussten Studieninhalte digitalisiert, Online-Veranstaltungen realisiert und ein möglichst niederschwelliger Zugang für alle Beteiligten gewährleistet werden.
In den meisten Fällen verlief der Übergang in die digitale Lehre weitgehend problemlos: Lektüre konnte wie bisher über ILIAS bereitgestellt und anschließend per Video-Chat diskutiert werden. Der regelmäßige Austausch brachte gerade während des Lockdowns ein wenig Normalität und Struktur in den Alltag zurück.
Aufgrund der kurzfristigen Umstellung gab es natürlich auch einige Herausforderungen, die bewältigt werden mussten: technische Probleme, Verbindungsschwierigkeiten und gemutete Mikrofone auf der einen Seite und die Vermittlung von Studieneinhalten, die eigentlich persönlich erfahren werden müssten oder die Durchführung von Klausuren und Prüfungen auf der anderen Seite.
Besonders die Projektfindung im Modul „Being Academic“ stellte mich vor einige Herausforderungen. Ursprünglich wollte ich an einem Symposium teilnehmen, einen Arbeitskreis besuchen oder einen Vortrag halten – im Lockdown war all dies jedoch nicht möglich. Wie arbeitet man denn nun akademisch unter Pandemiebedingungen? Um dies herauszufinden habe ich über den Zeitraum von einem halben Jahr mehrere digitale Veranstaltungen besucht, die alle unter unterschiedlichen Voraussetzungen stattfanden und konnte so einen guten Einblick gewinnen, den ich nun vorstellen möchte.
Die erste Veranstaltung, an der ich teilnahm war, das jährliche Treffen der AJJ (Anthropology of Japan in Japan)“, welches normalerweise in Präsenz stattfindet, aufgrund der pandemischen Lage jedoch online abgehalten wurde.
„AJJ (Anthropology of Japan in Japan) 2020 Annual Meeting“
- Datum: 5. und 6. Dez. 2020
- Uhrzeit: 10:00 – 18:00 Uhr (JST) / 02:00 – 10:00 Uhr (CEST)
- Sprache: Japanisch/Englisch
Dass ich als MoJa-Studentin früher oder später mit der Zeitverschiebung in Kontakt kommen würde, war mir theoretisch schon zu Beginn des Studiums bewusst. Ich hätte aber nicht gedacht, dass ich meine Wochenenden damit verbringen würde, ab 02:00 Uhr morgens für 8 Stunden verschiedenen Vorträgen auf Japanisch zu folgen.
Das jährliche Treffen der AJJ wurde Anfang Dezember 2020 von der Temple University in Tokyo ausgerichtet. Die Veranstaltung fand an zwei Tagen jeweils in der Zeit von 02:00 – 10:00 Uhr deutscher Zeit via Zoom-Meetings statt.
Nach einem Eröffnungsvortrag, in dem allgemein über die Gegebenheiten im ländlichen Japan aus anthropologischer Sicht gesprochen wurde, folgten mehrere größere Themenblöcke: „Multicultural Japan“, „Bodies & Beliefs“, „Popular Culture and Beyond“ und „Covid-19 and Japanese Society“. Die Vorträge dauerten jeweils 20 Minuten plus 10 Minuten Abschlussdiskussion. Weiterhin gab es kürzere Vorträge von Studierenden, die ihre Forschungsthemen vorstellten.
Während die regulären Vorträge im Plenum stattfanden, wurden die Studierendenvorträge zeitgleich in mehreren Breakout-Rooms vorgetragen. Für die Zuschauer war es so möglich, frei zu wählen, welchen Vortrag sie sich anschauen wollen. Auch ein freier Wechsel zwischen den Räumen war möglich.
Besonders interessant fand ich die Vorträge über den Umgang der japanischen Gesellschaft mit der Covid-19-Pandemie. Es wurden dabei unter anderem sowohl wirtschaftliche als auch politische Auswirkungen der Pandemie besprochen. Beispielsweise wurden die Auswirkungen auf das Kaufhaus „Nakano Broadway“ analysiert und wiederkehrende Sprachbilder der japanischen Medien besprochen. Eventuelle Fragen wurden dabei über den Chat beantwortet.
Da es sich bei dem Symposium jedoch um ein Treffen der „AJJ (Anthropology of Japan in Japan)“ handelte, wurden auch die Forschungsschwerpunkte aus anthropologischer Sicht behandelt, was sich für mich mit sozialwissenschaftlichem Hintergrund etwas befremdlich anfühlte. Die vorgestellten Themen wurden beobachtend dargestellt und den Fragen nach den sozio-ökologischen Gründen wurde nicht nachgegangen.
Da ich dieses Symposium gleichzeitig mit zwei Kommilitoninnen besuchte, konnten wir uns währenddessen in einer Chatgruppe auf WhatsApp austauschen, Fragen klären und über die Themen diskutieren. Natürlich fehlte der direkte physische Kontakt und es war schwer, neue Kontakte zu knüpfen, aber der Austausch nebenher steigerte meine Motivation und Konzentration sehr.
Eine Woche nach dem Meeting der AJJ ergab sich die Möglichkeit, einem Symposium des Consortium for Global Japanese Studies/International Research Center for Japanese Studies (Nichibunken) beizuwohnen:
„Japanese Studies in Europe: A Conference on Academic Exchange – Emergency Conference: The Evolvement of “Global Japanese Studies” after/with COVID-19 and the Significance of the Consortium“
- Datum: 12. und 13.12.2020
- Uhrzeit: 17:00 – 21:00 Uhr (JST) / 9:00 – 13:00 Uhr (CEST)
- Sprache: Japanisch (bei Bedarf Englisch)
Bei diesem Symposium gab es viele internationale Vorträge sowohl aus Japan als auch aus verschiedenen europäischen Ländern wie England, Frankreich, Italien oder Tschechien. Die Anmeldung erfolgte über eine kurze E-Mail.
Während ich zunächst unsicher war, welche Art von Vorträgen mich erwarten würde, stellte sich diese Veranstaltung als eine tolle Gelegenheit heraus, einen Einblick in die internationale Japanforschung zu gewinnen. Die meisten Vorträge wurden auf Japanisch gehalten. Die Vortragenden wurden aus ihren jeweiligen Heimatuniversitäten zugeschaltet und berichteten über die zu diesem Zeitpunkt aktuelle Pandemiesituation und die Herausforderungen, vor die sich Lehrkräfte und Studierende gestellt sahen. Viele berichteten, dass gerade die fehlende Möglichkeit, persönlich nach Japan zu fahren, für Studierende zum Problem wurde und dass ein Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere erschwert wurde. Andererseits wurden auch neue Lern-Möglichkeiten, wie EDU-LARP (Educational Live Action Roleplay. Mehr Infos unter: http://www.waldritter.de/) vorgestellt, die nun auch in Japan etabliert werden sollen, um Einsamkeit entgegenzuwirken.
Neben den sehr spannenden und aufschlussreichen Einblicken auch in andere europäische Institute für Japanforschung, wurde jedoch auch ein Nachteil der Online-Präsentationen deutlich: Die Vorträge unterschieden sich alle sehr stark in ihrer Übertragungsqualität. So lag bei einer Vortragenden während ihrer Präsentation ein Zettel auf dem Mikrofon und es wurde sehr schwer, sie zu verstehen; andere wiederum hatten Verbindungsprobleme oder bemerkten nicht, dass das Publikum nicht folgen konnte.
Eine Auswahl der Fragen, die über ein Q&A im Chat gestellt wurden, wurde durch einen Moderator an die Vortragenden übermittelt. Eine Möglichkeit für Austausch in den Pausen gab es nicht.
Im März 2021 konnte ich ein Panel des Program on U.S.-Japan Relations der Harvard University besuchen. Es gab drei Vorträge, die sich mit dem Fortschreiten der Pandemie und dem gesellschaftlichen Kontext in Japan auseinandersetzten:
„Public Health and Wellness in the COVID-19 Era: Japan in Global Context“
- Datum: 29.03.2021
- Uhrzeit: 11:30 – 13:00 Uhr (ET) / 17:30 – 19:00 Uhr (CEST)
- Sprache: Englisch
- Aufzeichnung der Veranstaltung
Diese Veranstaltung wurde vollständig auf Englisch durchgeführt. Die Vorträge umfassten jeweils etwa 15 Minuten und wurden im Nachhinein mit einer Fragerunde abgeschlossen.
Besonders interessant fand ich dabei den Vortrag von Professorin Thornber über den Einfluss von Literatur auf die Rezeption schwerer Krankheiten und Krisen in der Gesellschaft und das Aufdecken sozialer Stigmatisierungen.
Weiterhin war der Vortrag über die Reaktion der japanischen Gesellschaft auf die Einführung der Covid-19-Impfung auch retrospektiv interessant. Es wurden vor allem auch auf die historischen Hintergründe eingegangen, die erklären, weshalb die japanische Gesellschaft einer Impfung gegenüber skeptisch eingestellt sei. Den Daten von Ourworldindata.org zufolge konnte diese Skepsis inzwischen jedoch anscheinend größtenteils beigelegt werden, da ca. 78 % der japanischen Bevölkerung inzwischen vollständig geimpft wurde (Stand: 27.12.2021).
Dieses Panel war aufgrund der niedrigen Sprachbarriere (Englisch) auch für noch nicht so fortgeschrittene Japanisch Lernende geeignet und lässt sich bei Interesse noch einmal unter oben genanntem Link anschauen.
Das letzte Symposium im Rahmen dieses Projektes besuchte ich im Juni 2021:
„Coping with the Crisis – The Psychosocial Impact of the Pandemic“
- Datum: 10.06.2021
- Uhrzeit: 18:00 Uhr (JST) / 11:00 Uhr (CEST)
- Sprache: Japanisch / Deutsch (mit Simultanübersetzung)
- Link zum Veranstaltungsbericht
Die Veranstaltung wurde vom DWIH Tokyo in Kooperation mit dem Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin ausgerichtet und befasste sich mit den psychosozialen Auswirkungen der Pandemie auf die Bevölkerung. Besonderer Fokus wurden auf Einsamkeit, Armut, Depressionen und deren Gegenmaßnahmen gelegt.
Das Symposium wurde durch Erfahrungsberichte des Gründers der Beratungsstelle „A Place for you“ in Tokyo, Ōzora Kōki, sowie des Leiters des Berliner Krisendienstes, Jens Gräbener eröffnet.
Sie berichteten darüber, dass die Auslastungen ihrer Hilfsangebote im Zuge der Pandemie rasant angestiegen seien und dass vor allem im japanischen Kontext durch die steigende Einsamkeit immer mehr Menschen suizidgefährdet seien. Sie beschrieben sehr eindrucksvoll, dass durch die Omnipräsenz der Pandemie selbst die Krisenhelfer an ihre persönlichen psychischen Grenzen kämen.
Anschließend folgte eine Podiumsdiskussion, die von unserer ehemaligen Institutsmitarbeiterin Fr. Dr. Nora Kottmann moderiert wurde. Die Teilnehmer stellten ihre Forschungsergebnisse vor, besprachen die Auswirkungen der Pandemie aus wissenschaftlicher Sicht und beantworteten Publikumsfragen. Positiv anzumerken ist, dass diese Veranstaltung neben Fragen über die Chatfunktion auch Wortmeldungen akzeptierte, wodurch die Diskussion stets angeregt fortgeführt werden konnte.
Besonderer Fokus wurde dabei auf vulnerable Gruppen gelegt und in diesem Rahmen ein „Pandemieparadox“ besprochen: Demzufolge sei die alte Bevölkerung zwar einem höheren Risiko durch das Virus ausgesetzt, aber weniger psychisch belastet, während bei jüngeren Personen ein niedrigeres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf erkennbar sei, die mentale Belastung hingegen aber extrem hoch sei.
Ein weiterer sehr positiver Aspekt dieser Veranstaltung war die Möglichkeit der Simultanübersetzung. Die Vortragenden hielten ihre Präsentationen sowohl auf Japanisch als auch auf Deutsch. Die Zuschauer konnten einfach ihre Sprachpräferenzen auswählen und die gesamte Veranstaltung in Übersetzung verfolgen. Dadurch konnte das Teilnehmer- und Zuschauerfeld ausgeweitet werden, da keine besonderen Sprachkenntnisse von Nöten waren.
Meines Erachtens nach war diese Veranstaltung sowohl organisatorisch als auch inhaltlich sehr gut aufgestellt und führte zu vielen spannenden Erkenntnissen.
Bei Temperaturen von bis zu 30 Grad Celsius war es übrigens sehr angenehm, an einer Online-Veranstaltung teilzunehmen. So konnte ich entspannt mit meinem Laptop im Garten sitzen 😉
Anschließend habe ich noch einmal die Vor- und Nachteile digitaler Symposien zusammengefasst:
Vorteile | Nachteile |
Viele Online-Veranstaltungen werden kostenlos angeboten. | Der Aufbau von persönlichen Kontakten ist nicht möglich. |
Keine Anfahrtszeiten und -kosten. | Gefahr der Ablenkung |
Vorträge werden oft von PowerPoint- Präsentationen begleitet, die man problemlos abfotografieren/speichern kann. | Hohe Qualitätsunterschiede in den Präsentationen durch schwache Internetverbindung/ Soundqualität etc. |
Manche Veranstaltungen werden im Nachhinein kostenfrei veröffentlicht und können bei Bedarf noch einmal angeschaut werden. | Kaum Gelegenheiten, „Japanisch sprechen“ zu üben. |
Kommunikation über die Chatfunktion/ Fragefunktion ermöglicht das Nachlesen von japanischen Fragen. | Einstieg in Gespräche in den „Kaffeepausen“ aufgrund des fehlenden Kontaktes erschwert. |
Möglichkeit an Veranstaltungen in Japan/von japanischen Universitäten organisierten Veranstaltungen teilzu-nehmen. | Recherche nach Veranstaltungen oft zeitintensiv. |
Teilnehmerfeld oft breit gefächert/divers (viele renommierte Vortragende) | Oft hohe Sprachkenntnisse erforderlich. |
Einfach zu dokumentieren. | Zeitverschiebung kann zu nächtlichen Terminen führen. |
Kommunikation „nebenher“ stört das restliche Publikum nicht. |
Weitere Informationen
Wenn euer Interesse für das digitale wissenschaftliche Arbeiten nun auch geweckt wurde, findet ihr einige spannende Angebote unter:
- International Japanese Studies Events Database
- Veranstaltungskalender der DWIH Tokyo
- Außerdem gibt es immer wieder Veranstaltungsmitteilungen auf unserem Modernes Japan Discord-Server.
Dieser Server wird regelmäßig von Studierenden und Dozierenden gepflegt und informiert verlässlich über interessante Veranstaltungen mit Japanbezug.
Fazit
Abschließend lässt sich festhalten, dass die virtuelle akademische Arbeit für mich größtenteils positiv verlief. Vor allem die Teilnahme an internationalen Veranstaltungen, die ich ohne die Möglichkeit einer Online-Teilnahme wohl nie hätte besuchen können, ließ mich manchmal auch ein wenig ehrfürchtig werden. Die Live-Schaltungen in die Büros nach Japan ließen Grenzen verschwimmen und auch mit der Zeitverschiebung kam ich meistens gut zurecht. Auch wenn es mir zugegebenermaßen schwerfiel, morgens um 2 Uhr meine Japanisch-Kenntnisse zu aktivieren, war ich froh, dass ich mir dabei gemütlich mit einer Tasse Kaffee keine Gedanken über meine Außenwirkung machen musste.
Bevor ich in die Welt der Online-Veranstaltungen eingetaucht bin, hatte ich nur vereinzelt Berührung mit Symposien, Tagungen und ähnlichem und ich bin auch etwas wehmütig, dass ich dies während meines Studiums nicht noch nachholen konnte. Ich bin dennoch dankbar für die Möglichkeit, wenn auch nur digital, an internationalen Veranstaltungen teilnehmen und mehr über viele spannende Themen erfahren zu können.
Die Veranstalter zeigten sich stets sehr bemüht, für alle Zuschauer eine möglichst angenehme Teilnahme zu ermöglichen. Mögliche Fragen wurden immer gut beantwortet und auch bei etwaigen Verbindungsschwierigkeiten reagierten sie unverzüglich.
Nach nun knapp 2 Jahren, in denen wir inzwischen mit der Pandemie leben, haben wir gelernt, dass nicht jede schwächelnde Internetverbindung auch wirklich etwas mit dem WLAN zu tun hat, dass Stammtische und Spieleabende auch online viel Spaß machen können und dass wir immer einen Weg finden werden, mit jeder Schwierigkeit umzugehen.
Bis dahin verbleibe ich hoffnungsvoll.