Studierendenberichte

Akademisch sein online – Chance statt nur Zwischenlösung

Ein Bericht von Anna Maßlau (Master-Studiengang Modernes Japan).

Online-Seminare, Zoominare, Webinare: Vielleicht nicht für jedermann das Wahre – und das nicht erst, wenn die WLAN-Verbindung zur Last fällt mit einer neuen Eskapade. Zugegeben, das Format des rein digitalen Austauschs ist nicht fehlerlos und gerade im Bereich der Lehre mag es noch einiger Tüfteleien bedürfen. Gleichwohl sollte ich im Zuge meiner Being-Academic-Projektdurchführung mit Vorteilen vertraut werden, die mich sagen lassen, dass es zu weitaus Höherem berufen ist als einem Notbehelf – und das nicht nur, weil es mir Dinge ersparte wie erschöpfendes Bahngefahre.

Für den erfolgreichen Abschluss des Mastermoduls Being Academic ist es vorgesehen, einmal Japanologenluft zu schnuppern. Dies lässt sich z. B. in Gestalt eines Praktikums, einer Teilnahme an Tagungen, einer Aufsatzveröffentlichung oder ganz eigener kreativer Vorhaben mit Wissenschaftsbezug verwirklichen. Nachdem bereits einige Wochen nach Beginn des SoSe 2020 erste Einladungen zu Onlinevorträgen/-symposien über die J-Studien- und SSJ-Mailinglisten versandt worden waren, stand fest: Gegenstand meines Projekts sollte es sein, vom trauten Heim aus die Vielseitigkeit der in den digitalen Raum verlegten Japanstudien zu erleben.

Als Dauerbrenner auf meiner Browser-Startseite, da seit April/Mai beständig erweitert, haben sich dabei zwei Zoom-Vortragsserien erwiesen: die u:japan lectures der Universität Wien und die Japan Zoominars der UC San Diego. Während sich in den Japan Zoominars unter der Regie von Prof. Ulrike Schaede Experten zu à einstündigen Wissens- und Meinungsaustäuschen rund um aktuelle Themen via Webcam zusammenfinden, bieten die u:japan lectures einzelnen Wissenschaftlern in 1 ½ Stunden die Möglichkeit, Forschungsergebnisse vorzustellen und im Anschluss mit einem interessierten Internetpublikum zu diskutieren.

Zu den ersten Vortragenden der u:japan lectures gehörte Dr. Marianna Zanetta von der Universität Turin: Am 04.06.2020 gab sie in „Shamanic practices in contemporary Japan: Local habits and national fascination“ ihr Ph.D.-Projekt von 2016 zu Gehör. Damals hatte sie die Entwicklungs- und Wandlungsprozesse, die minkan fusha (Heilerinnen, Medien, Hellseherinnen) bis heute in ihrer Tätigkeit erfahren haben, untersucht und Rückschlüsse auf die Verortung der minkan fusha in der japanischen Gesellschaft gezogen, die jene Prozesse wiederum erlauben. Von der sich die westliche Schulmedizin zum Leitbild machenden Meiji-Zeit an ein Störfaktor, seien minkan fusha schließlich durch das im Zusammenhang mit der Okkultismus-Manie der 1960-80er Jahre aufgeflammte Interesse an einheimischen spirituellen Traditionen schlagartig zu idealisierten Objekten der Massenkultur geworden. Diese veränderte Sichtweise auf die minkan fusha deutet Dr. Zanetta als einen Fluchtversuch vor der Postmoderne mit dem Verlangen, eine Verbindung zu einer „urjapanischen“ (Wunsch-)Vergangenheit zu knüpfen und eine kulturelle Identität zu bekräftigen. Ich hatte zuvor noch nie von minkan fusha gehört und war erfreut, gleich zu Projektbeginn auf solch ein besonderes und horizonterweiterndes Thema gestoßen zu sein. 

Eines von vielen spannenden Japan Zoominars war „Women in Japan: Similar Challenges, Different Solutions“ vom 21.10.2020. Mit Prof. Karen Shire, die mit einem Rückblick auf relevante Entwicklungen in Japan und Deutschland eine historische und soziologische Vergleichsperspektive bot, und Tomita Saki, als Managerin & Ingenieurin in einer „Männerdomäne“ arbeitend und aus eigener Erfahrung sprechend, diskutierte Prof. Schaede die Geschlechterungleichheit in der Arbeitswelt. Die Diskussion verharrte nicht bei reinen Zahlen oder der Beurteilung einzelner firmeninterner Bemühungen, sondern demonstrierte die Komplexität der scheinbar nur schwer und langsam zu lösenden Thematik, indem sie einen Bogen zu Bildung, Erziehung, Berichterstattung, Politik und damit letztlich der gesellschaftlichen Gesamtheit schlug. In einen mysteriösen Schleier der Rigidität hülle sich die japanische Regierung, die sich – Womenomics hin oder her – angestrengt habe, Frauen nach wie vor möglichst wenig parlamentarische Autorität zuzugestehen, anstatt mit gutem Beispiel vorauszueilen. Ein Problem, für das Veränderungen auf vielen weiteren Ebenen als nur der des Arbeitsmarktes stattfinden müssen und für das es eine zweite Diskussionsrunde geben soll – ich bleibe am Ball!

Längere Online-Tagungen fanden, soweit ich weiß, bisher nur selten statt. Für die drei, die ich besuchte, gilt Folgendes genauso wie für die hier vorgestellten Vortragsreihen: Sie waren gut strukturiert und der Austausch mit dem Publikum ging überraschend einfach vonstatten, denn die Moderatoren oder andere Beauftragte hatten Chatfragen usw. stets im Blick. Und so facettenreich die vielen einzelnen Veranstaltungen waren, hatten sie doch ein Wesentliches gemeinsam: Sie wären mir wohl völlig entgangen, hätten sie nicht online stattgefunden. Nicht einmal in Deutschland vor März 2020 konnte ich je Tagungen oder HHU-externe Vorträge in Präsenz besuchen, denn dafür fehlten mir schlicht und ergreifend die Zeit und das Geld. Reisen ist nicht nur Bildung, sondern vor allem Luxus – auch wenn das in Wohlstandsgesellschaften, so sie sich denn nicht gerade in einer Ausnahmesituation wiederfinden, gerne vergessen wird.

Doch nicht nur für potenzielle Zuhörer mit Geld- und/oder Mobilitätsproblemen dürften digitale Zusammenkünfte ersprießlich sein: So wage ich zu mutmaßen, dass gerade auch Nachwuchswissenschaftler davon profitieren können, ihre Forschungsvorhaben in Videokonferenzen, die Neugierigen aus aller Welt mit Internetanschluss zugänglich sind, zu teilen. Mit mehr Reichweite kommen vielleicht mehr Möglichkeiten und Anregungen. Jedenfalls bin ich überaus dankbar, dass es mir zustand, von zuhause aus ein solch umfassendes Bild von der internationalen Japanforschung zu gewinnen. Ich wünsche mir, dass auch in Zukunft – ganz unabhängig vom Ausgang der pandemischen Krise – ein reiches Online-Angebot an Symposien, Diskussionsrunden und Einzelvorträgen kultiviert werden wird.