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Spannendes zwischen „Japonismus und Japanimation“

Sei es Van Gogh, der mit dem Pinsel die Linienführung japanischer Holzschnitte übernahm und damit die Landschaft der Provence lebendig auf Papier bannte, seien es deutsche Mangaka, die heute im Stil japanischer Comics Fantasiegeschichten zeichnen – der kulturelle Austausch zwischen Japan und dem Westen ist seit dem 19. Jahrhundert sehr fruchtbar. Bei dem vom Instiut für Modernes Japan veranstalteten Symposium „Vom Japonismus zur Japanimation“ vergangenen Freitag im Goethe-Museum Düsseldorf wurde die Vielfalt dieser kulturellen Austauschprozesse in sechs Vorträgen aufgezeigt.

Der Cellist Thomas Beckmann, Initiatorin Michiko Mae, der Leiter des Goethe-Museums Volkmar Hansen und der Rektor der HHU, Hans Michael Piper; Foto: David Pham

Michiko Mae, die Initiatorin des Symposiums, stellte heraus, dass die Auseinandersetzung mit der japanischen Kunst für die europäischen Künstler des ausgehenden 19. Jahrhunderts einen schöpferischen Prozess in Gang gebracht habe, der ihnen neue künstlerische Gestaltungsformen ermöglichte und einen wesentlichen Faktor für die Hervorbringung der Moderne darstellte. „Die japanische Kunst nahm damals die Rolle des Befreiers und des Helfers ein.“ Mae sieht auch in der gegenwärtigen weltweiten Beliebtheit japanischen Populärkultur wie Anime, Manga und Cosplay ein solches Potential zum „Katalysator“: „Diese Werke der Popkultur können eine subversive und emanzipatorische Wirkung entfalten.“

Dennoch zeige sich in der aktuellen Medienberichterstattung zur Dreifachkatastrophe in Japan, dass das deutsch-japanische Verhältnis immer noch von Topoi der Fremdheit bestimmt sei. So sei von den „stoischen Japanern“ die Rede und es kämen Erklärungsversuche auf, die vom Ehrenkodex der Samurai bis zu den Kamikaze-Fliegern reiche. „Das liegt daran, dass wir Kulturen immer noch als Nationen denken, als geschlossene Einheiten“, erklärte Mae. Die Professorin plädierte daher für ein Verständnis von Kultur als ein sich öffnender lebendiger Prozess, was unter dem Begriff der „Transkulturalität“ gefasst werden kann.

Susan Napier; Foto: David Pham

Susan Napier, die eigens von der Tufts University (Boston) angereist war, unternahm in ihrem Vortrag eine kritische Neuansicht des Orientalismus-Konzeptes von Edward Said. Ihrer Meinung nach reicht es nicht aus, die Beziehung zwischen Japan und dem Westen nur unter den Vorzeichen von Dominanz und Macht zu betrachten. Als Kategorien der Betrachtung schlägt sie vor: Power, Pleasure, Play, Liberation, Compensation und Critique. Die Vielfalt der Japan-Rezeption, die Napier in ihrem Vortrag sehr anschaulich darstellte, reichte von den französischen Impressionisten über den Film „Rising Sun“ (Philip Kaufman, 1993) bis zu den Einflüssen von Miyazakis Anime auf die Pixar-Filme.

Wie sich die Idee von dem „typisch japanischen Garten“ im Westen entwickelte, zeigte Christian Tagsold vom Institut für Modernes Japan auf. Die ersten japanischen Gärten Europas waren im 19. Jahrhundert auf den Weltausstellungen zu sehen. „Damals gab es noch keinen Wissenskanon zu japanischen Gärten“, erklärte Tagsold. So hätten beide Seiten – der Westen, aber auch Japan selbst – die Idee von einem japanischen Garten erst noch formulieren müssen.

Christian Tagsold; Foto: Larysa Harke-Demydenko

Eine Möglichkeit, vermeintliche Authentizität zu schaffen, war der Einsatz von japanischen Gartenbaumeistern. Als in Düsseldorf 1904 zur internationalen Kunst- und Gartenbauausstellung der erste japanische Garten Deutschlands auf dem heutigen Tonhallengelände angelegt wurde, war der Baumeister allerdings ein Deutscher, der Gartenarchitekt Reinhold Hoemann. Nach Eigenaussage der Macher entstand der Garten dennoch „streng nach japanischem Vorbild“: Eine Foto des Fukiage-Parks in Tokyo diente als Vorlage. Dies zeigt, welche große Bedeutung die Fotografie schon um die Jahrhundertwende für das Japan-Bild im Westen erlangt hatte.

Welche Kompositionsprinzipien deutsche Künstler aus der japanischen Kunst übernahmen erläuterte Claudia Delank, die in Köln eine Galerie unterhält und an der Kunstakademie Düsseldorfs als Lehrbeauftragte tätig ist. Sie konzentrierte sich dabei vor allem auf die Künstler des „Jungen Rheinlandes“, einer Künstlervereinigung, die 1919 in Düsseldorf gegründet wurde. Zu der Gruppe gehörte unter anderem August Macke, der schon 1905 Interesse an japanischer Kunst entwickelt hatte, zunächst Manga von Hokusai abzeichnete und dann Prinzipien wie die Betonung von Körperumrissen mit schwarzen Linien in sein eigenes künstlerisches Schaffen integrierte.

Claudia Delank; Foto: L. Harke-D.

Weitere Mitglieder der Vereinigung, die sich von Japan inspirieren ließen, waren Georg Oeder, Heinrich Nauen, Walter Ophey und Otto Pankok. „Die Maler des rheinischen Expressionismus gewannen durch die Anregungen aus der japanischen Kunst eine neue Sehweise“, erläuterte Delank. Es sei nicht mehr Ziel gewesen, ein illusionistisches Abbild zu schaffen, sondern stattdessen das Wesen der Dinge zu erkennen und in eine eigene Formensprache zu übersetzen.

Ausgangspunkt des Vortrages von Stephan Köhn von der Japanologie Erlangen war eine Verschärfung der Zensur populärkultureller Produkte, die letztes Jahr, unter anderem auf Initiative des Gouverneurs von Tokyo, Ishihara Shintarô, in Japan eingeführt wurde. Durch diese Zensurverschärfung, die vor allem auf mögliche kinderpornographische Elemente abzielt, könnte es massive Probleme zum Beispiel für Manga aus dem sogenannten „Boys‘-Love“-Genre geben, deren Thema homoerotische Beziehungen zwischen Knaben bzw. männlichen Jugendlichen sind. Boys‘-Love-Manga werden vor allem von Frauen konsumiert, die in der Partnerschaft zweier Jungen die ultimative Liebesbeziehung sehen.

Stephan Köhn; Foto: L. Harke-D.

Eine Politisierung japanischer Populärkultur findet aber nicht nur im Bereich der Zensur statt. Wie Stephan Köhn aufzeigte, stellen teilweise die gleichen Akteure Manga und Anime in den Dienst eines „Kulturnationalismus light“, der Japans „Pop-Power“ als wichtiges Exportgut sieht. Subkulturelle Gruppen wie die Otaku – Menschen, die sich durch extremen Konsum populärkultureller Medienprodukte auszeichnen – werden so einerseits als eine Art „Kulturbotschafter“ ins Licht der Öffentlichkeit gedrängt und staatlicherseits vereinnahmt, andererseits werdem die Produkte, die sie konsumieren, sehr kritisch beäugt und der Zensur anheimgestellt.

Steffi Richter; Foto: L. Harke-D.

„Nach cool Japan“ war das Thema von Steffi Richters Vortrag, der sich auch stark auf die aktuellen Ereignisse in Japan bezog und problematisierte, welche Auswirkungen die Dreifachkatastrophe haben wird – auf die Gesellschaft insgesamt, aber auch auf die Populärkultur. Unmittelbar spürbare kleine Indizien waren zum Beispiel, dass einige Computerspiele mit Katastrophen- oder Atomthemen, die in Japan kurz vor der Veröffentlichung standen, gestoppt wurden. Der Kulturkritiker Azuma Hiroki, der für seine Untersuchungen des Otaku-Phänomens bekannt ist und sonst keinesfalls nationalistische Tendenzen erkennen lässt, äußerte in der New York Times Bewunderung für den Zusammenhalt der japanischen Nation und nutzte dabei eine Popkultur-Vokabel: „the Japanese people seem to have completely transformed their kyara.“

Ôtsuka Eiji, ein Autor und Kulturkritiker, der sich ebenfalls sehr stark mit Popkultur auseinandersetzt und in einem seiner neuesten Werke die „Cool Japan“-Kampagne als „Irrläufer der Ökonomie in Krisenzeiten“ bezeichnet, hat sich bisher nicht zur Katastrophe in Japan geäußert. Steffi Richter stellte jedoch einen Text von ihm vor, in dem er sich bereits 1988 mit der Anti-Atombewegung in Japan auseinandersetzte. Ôtsuka betrachtete die Bewegung damals als Mode-Welle, der das Bewusstsein dafür fehlte, dass wir selbst den radiokativen Müll als Schmutz der Stadt hervorbringen. „Ôtsuka hat einen sehr scharfen Blick für Systemfragen“, stellte Richter fest. „Er zeigt hier ganz klar unser Involviertsein auf.“