Studierendenberichte

Väterliche Elternzeit in Japan – Ein Bericht von Thanh Thao Tran

Dieser Beitrag widmet sich den Gründen, warum Väter in Japan selten Elternzeit in Anspruch nehmen und beleuchtet dabei die Gesetzeslage in Japan und Herausforderungen, denen sich Väter ausgesetzt sehen. Der folgende Bericht wurde von der Bachelorstudierenden Thanh Thao Tran im Rahmen des von Mirco Heller geführten STM-Seminars „Wenn ich nur Zeit hätte – Die (Un)Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Japan“ verfasst.

Warum nehmen Väter in Japan (keine) Elternzeit?

Seit 1992 ist in Japan das Recht, Elternzeit zu beanspruchen, nicht mehr an das Geschlecht gebunden, sodass auch Väter diese beantragen können. Im Jahr 2012 nahmen jedoch nur 1,89% der Väter Elternzeit in Anspruch, wovon lediglich 0,4% dies für mindestens einen Monat durchführten (vgl. Nakazato 2017: 233 f.). Obwohl sie über das Recht verfügen, entscheiden sich nur wenige Väter dafür.

Welche Faktoren beeinflussen Väter in Japan, Erziehungsurlaub zu beantragen? Im Folgenden wird betrachtet, was für die Entscheidung relevant ist und wie Väter auftretende Hindernisse überwinden. Gleichzeitig stellt die Studie von Professor Nakazato Hideki[1] der Kōnan University aus dem Jahr 2014 sechs Väter als Fallbeispiele vor. Alle Teilnehmenden haben unterschiedliche Berufsfelder und zwischen 2007 und 2014 mindestens einen Monat der Elternzeit allein das Kind betreut (vgl. Nakazato 2017: 238).

Gesetzliche Grundlagen

Um ein allgemeines Verständnis zu der Lage der männlichen Arbeitnehmer zu erlangen, ist es wichtig, den gesetzlichen Rahmen bezüglich der Elternzeit zu betrachten. Neben der Regelung, dass beide Elternteile über das Recht verfügen, stieg die Unterstützungszahlung während der beruflichen Abwesenheit über die Jahre an. So betrug sie im Jahr 1995 25 Prozent des regulären Einkommens, 2007 50 Prozent und 2014 67 Prozent. Darüber hinaus wurde 2010 ein Zahlungs- und Urlaubsanspruch uneingeschränkt von dem Arbeitsverhältnis des/der Partner:in eingeführt. Wenn beide Eltern sich freinehmen, war es möglich die üblichen 12 Monate bis das Kind 14 Monate alt wird, zu erweitern. Wenn Eltern ihr Kind nicht in Betreuung geben konnten, verlängerte sich die Zeit auf 18 Monate (vgl. Nakazato 2017: 233). Zwar sollten die Maßnahmen die väterliche Teilnahme an der Elternzeit erhöhen, doch die Zahlen blieben dennoch niedrig (vgl. Nakazato 2017: 233).

Faktoren, warum Väter in Japan keine Elternzeit beansprucht haben

Es gibt zahlreiche Faktoren, die für die Väter gegen den die Inanspruchnahme von bezahlter Elternzeit sprechen. Der Wissenstand und die Verfügbarkeit von Informationen über die Regelung der elterlichen Freistellung waren hierbei häufig genannte Faktoren. So gaben in einer Studie aus dem Jahr 2010 40% der Väter, die sich nicht freigenommen haben, an, dass es in ihrem Betrieb keine Regelungen bezüglich der Elternzeit gab oder sie nicht wussten, ob es geregelt ist (vgl. Nakazato 2017: 235). Im Fallbeispiel von Masaki aus Nakazatos Studie informierte ihn ein Online-Artikel erst nach der Geburt seines zweiten Kindes über sein Elternzeitrecht, unabhängig der beruflichen Situation seiner Ehefrau (vgl. Nakazato 2017: 244). Hinsichtlich Osamu und Masaki war der Wissenstand ihrer Manager nicht adäquat zur derzeitigen Gesetzeslage (vgl. Nakazato 2017: 246). Insgesamt drei von sechs Vätern „haben nicht direkt die Genehmigung für ihre Anfragen erhalten und brauchten weitere Erklärungen und Verhandlungen“ (Nakazato 2017: 246).  Besonders auffallend sind die sorgfältige Vorbereitung der Väter auf die Antragstellung und ihr größeres Wissen über die Urlaubsrechte im Vergleich zu ihren Vorgesetzten (vgl. Nakazato 2017: 246).

Unter den Vätern, die in der Umfrage von 2010 teilgenommen haben und sich trotz Wissen über ihr Recht gegen die Elternzeit entschieden haben, gaben 49 Prozent den Faktor „atmosphere and the situation at the workplace [which] discourages fathers from taking leave“ (Nakazato 2017: S.235) an. Die Erwartungen auf der Arbeitsstelle, welche sich konkret an Männer richten, sind oftmals zeitintensiv. Häufig werden Überstunden und die Teilnahme an gemeinsamen Barbesuchen erwartet (vgl. Schad-Seifert 2019: 205). „Die Anbindung an eine einzige Firma [sei für den japanischen ‚Salaryman‘ typisch]“ (Schad-Seifert 2014: 205). Innerhalb der Arbeitsumgebung vermeiden Männer, ihren Kollegen mehr Arbeit aufzubürden oder negative Folgen auf ihre Karriere auszulösen (vgl. Nakazato 2017: 235). Letzteres wird vermutlich durch das Modell des „male breadwinner[s]“ (Schad-Seifert 2014: 2005), also dem Vater als traditionell alleiniger Familienernährer, bestärkt, wodurch Frauen nicht für eine vollzeitige Arbeitsanstellung vorgesehen waren (vgl. Schad-Seifert 2014: 205).

Außerdem stellen sich die traditionellen Geschlechterrollen, bei der die Mutter die Kinder erzieht, als relevant heraus. In der Umfrage von 2010 nannten 20 Prozent der Väter[2] den Faktor „My wife is on leave“ (Nakazato 2017: 235), was laut Nakazato Väter nicht von der Beurlaubung abhalten sollte (vgl. Nakazato 2017: 235). Hier ist anzumerken, dass Männer traditionellerweise von der „frühen Kindererziehung ausgeschlossen“ (Schad-Seifert 2017: 205) werden, da Frauen während ihrer Schwangerschaft in das Elternhaus zurückkehren, um das Kind zu gebären und für die ersten Monate nach der Geburt betreut zu werden (vgl. Schad-Seifert 2017: 205).  Auch im Interview von Nakazato Hideki zeigten sich bei den Vätern Unsicherheiten in ihrer Fähigkeit als Fürsorger, trotz ihrer Erfahrungen im Haushalt geholfen zu haben (vgl. Nakazato 2017: 244f.). Laut Bienek verbringen Väter in Japan nur wenig Zeit mit häuslichen und familiären Aktivitäten; lediglich 37 Minuten am Tag für den Haushalt und sieben Minuten für ihr Kind (vgl. Bienek 2019: 82). Darunter zählen ihr Kind zu beruhigen, zu Bett zu bringen oder mit ihrem Kind zu spielen. Im Haushalt bringen Väter beispielsweise 10 Minuten für die Fertigstellung von Mahlzeiten und 9 Minuten für die Pflege des Gartens auf (vgl. Bienek 2019: 85f.).

Ferner sorgten sich Väter auch über wirtschaftliche Folgen (vgl. Nakazato 2017: 235). Toru, einer der Väter aus dem Interview von Nakazato, setzte voraus, dass seine Frau, die zur Zeit der Geburt arbeitslos war, eine Anstellung findet. Zudem hatte er aufgrund des Alters seines Kindes keinen Anspruch auf die Unterstützungszahlung, wodurch er seine Ersparnisse und das Einkommen der Teilzeitanstellung seiner Frau während seines Urlaubs kalkulierte, um genügend Geld anzusparen. Beide waren vorher vollzeitig berufstätig, was sie entlastete (vgl. Nakazato 2017: 243f.).

Faktoren, warum Väter in Japan Elternzeit beanspruchen

Im Entscheidungsprozess der Väter gibt es auch ermutigende Faktoren. Um finanzielle Sorgen zu reduzieren, erwies sich die Arbeitssituation der Ehefrau als relevant. Studien dokumentierten einen Zusammenhang zwischen der Erwartung von „less economic damage“ (Nakazato 2017: 236) und der Vollzeitbeschäftigung der Ehefrau. Auch in den Fällen von Osamu und Hiroshi arbeiteten die beide Ehefrauen Vollzeit und verdienten ungefähr so viel wie ihre Ehemänner (vgl. Nakazato 2017: 243).

Ergänzend dazu war die Möglichkeit, ihre Ehefrauen bei der Rückkehr in die Arbeitswelt zu unterstützen, ein weiterer Motivationsfaktor für die Väter (vgl. Nakazato 2017: 236). Ikuyas Ehefrau hatte einen Vertrag, der vor dem ersten Geburtstag ihres Kindes enden sollte, wodurch sie den Anspruch auf Elternzeit verlor. Daher stand sie vor der Entscheidung, entweder ihre Arbeit ungewollt aufzugeben und Vollzeit-Hausfrau zu werden oder das Kind in die Kinderbetreuung zu bringen und anschließend weiter zu arbeiten. Zusätzlich dazu bat ihr Arbeitsgeber sie, nach zwei Monaten Elternzeit wieder arbeiten zu gehen, falls sie dazu in der Lage sei. Das Ehepaar suchte erfolgslos nach einem freien Betreuungsplatz, sodass sich Ikuya entschied seine Elternzeit zu beantragen, um seiner Frau zu ermöglichen in die Arbeitswelt zurückzukehren (vgl. Nakazato 2017: 242).

Besonders Arbeitsbedingungen wie Flexibilität und verständnisvolle Manager können bei der Entscheidung helfen. Wenn ein Arbeitsplatz die Abwesenheit der Väter kompensieren kann, durch beispielsweise Ersatzfachkräfte, lindert dies die Schuldgefühle, Kollegen zusätzliche Arbeit aufzubürden (vgl. Nakazato 2017: 236, 246f.). Osamu und Toru konnten ihre Abwesenheit ausgleichen, indem sie ihre flexiblen Tätigkeiten auf die Zeit nach ihrer Rückkehr verschoben und ihre Kollegen einen Teil der Arbeit abnahmen. Jedoch stand Hiroshi vor der potenziellen Konsequenz, seine Arbeitsstelle in dem Unternehmen zu verlieren. Als Pharmazeut hatte er aber die Möglichkeit, eine andere Stelle zu finden (vgl. Nakazato 2017: 246).

Auch im privaten Leben kann man weitere Faktoren feststellen. Allgemein trägt eine offene, geschlechterrollenunabhängigere Haltung der Väter und Mütter gegenüber Haushaltsaufgaben und Kindererziehung positiv bei (vgl. Nakazato 2017: 236). Natsuo „lernte von einem Buch [wie wichtig es ist, dass Eltern Zeit mit ihrem Kind verbringen]“ und Toru sagte zu seinem Grund aus: „Why shouldn’t I, even if other fathers don’t“ (Nakazato 2017: 243).

Alltagsaufgaben auszulagern und sich jenseits des Kindes zu sozialisieren, mindert Stress. Toru fühlte sich nicht einsam, da er bereits einen Freund hatte, der in einer ähnlichen Situation war und darüber hinaus besuchten ihn seine Eltern. Zudem ließ er sein Kind zweimal die Woche für 3-4 Stunden in die Obhut einer Krippe, was ihn weiter entlastete. Drei der anderen Väter traten mit anderen Menschen über Blogs und soziale Netzwerke in Kontakt (vgl. Nakazato 2017: 250).

Insgesamt lässt feststellen, dass besonders das Arbeitsumfeld, die finanzielle Situation sowie die Einstellungen gegenüber traditionellen Geschlechterrollen signifikante Faktoren in dem Entscheidungsprozess von Vätern bezüglich der Inanspruchnahme von Elternzeit spielen. Damit mehr Väter Elternzeit nehmen, müssen einerseits strengere Gesetzeslagen gegenüber den Firmen eintreten. 2022 gab es zum Beispiel neue Reformen, in denen Firmen dazu verpflichtet werden, ihre Arbeitnehmer, bei denen die Schwangerschaft der Partnerin bekannt ist, über die Elternzeit zu informieren und zu überprüfen, ob die Arbeitnehmer ihre Rechte in Anspruch nehmen wollen. Die Zahl der Väter, die Elternurlaub nehmen, stieg über die letzten Jahre an und betrug 2022 rund 17% (vgl. Kimoto 2023). Sofern weitere Maßnahmen für die Firmen gesetzlich eingeleitet werden und mehr Möglichkeiten für die Väter und Mütter bezüglich finanzieller Kompensation, Kinderbetreuung und ähnliches zur Verfügung stehen, könnten sich weiterhin positive Entwicklungen zeigen. Andererseits müssten sich auch nachhaltig soziale und kulturelle Aspekte verändern sowie traditionelle Geschlechterrollen aufgebrochen werden, damit die Hürden im privaten, aber auch beruflichen Umfeld, reduziert werden. Allein die gesetzlichen Veränderungen verringern beispielsweise nicht die Angst, vor einer negativen Beurteilung seitens des Arbeitsgebers. Ob noch weitere Änderungen zustande kommen, wird die Zukunft zeigen.

 [1] In dem Blogartikel wird die japanische Reihenfolge der Namen, beginnend mit dem Nachnamen übernommen.

[2] Hier bezieht sich die Prozentzahl auf Väter, die von ihrem Recht wussten, aber nicht in Urlaub gingen.

Literaturverzeichnis

  • Bienek, T. (2019). Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Japan: Informelle Sozialisation als Zugang zur Vaterrolle, 83, 85-86. Hamburg: Verlag Dr. Kovač.
  • Kimoto, Keiko (10.08.2023): Paternity Leave in Japan, URL: https://www.tokyodev.com/articles/paternity-leave-in-japan [Stand: 26.09.2024]
  • Nakazato, H. (2017). Fathers on leave alone in Japan: The lived experiences of the pioneers. In M. O’Brien, & K. Wall (Hg.), Comparative perspectives on work-life balance and gender equality: Fathers on leave alone, S.231-256. Springer Open. DOI: 10.1007/978-3-319-42970-0
  • Schad-Seifert, A. (2014). Väter am Wickeltisch: Die familiale Erziehung Japans im Umbruch. In: Bildung und Erziehung, 67 (2), S. 205. https://doi.org/10.7788/bue-2014-0207

Ein Bericht von Thanh Thao Tran.