Ein Jahr an einer japanischen Uni, in dem man fast überall Maske trägt, kaum einmal den Campus betritt und nur eine Stunde Unterricht in Präsenz hat – das hätte man sich vor 2020 wohl kaum so vorgestellt. Von März 2020 bis Februar 2021 hat unsere Masterstudentin Ariane Hertel – als Einzige der Studierenden unseres Institutes – in Japan gelebt und an der Ferris-Universität in Kanagawa studiert. Im Mai 2020 hat sie bereits im Institutsblog über das Studium unter Corona-Bedingungen berichtet und erzählt heute im Rückblick über ihre weiteren Erfahrungen.
Ein Stück Normalität
Als ich im letzten Jahr für diesen Blog versucht habe in Worte zu fassen, wie es mir unter den Corona-Bedingungen in Japan ging, war ich gerade erst 2 Monate dort. Zu diesem Zeitpunkt war zwar bereits abzusehen, dass es mit dieser Pandemie länger dauern würde, aber damit, dass ich dann doch mein gesamtes Auslandsjahr unter eben diesen Bedingungen absolvieren würde, hatte ich nicht gerechnet.
Nachdem zu Beginn meines Auslandssemesters noch der Ausnahmezustand galt, wurden im Mai dann die Notstandserklärungen für alle Präfekturen Japans aufgehoben. Da die Infektionszahlen den Sommer über niedrig blieben, konnte ich über die kommenden Monate auch ab und an das Wohnheim verlassen und ein paar Ausflüge unternehmen. So habe ich mit anderen Studentinnen aus meinem Wohnheim während der japanischen Regenzeit die Hortensien in Kamakura bewundert und wenige Wochen später mit der gleichen Gruppe einen zweitägigen Ausflug nach Hakone und Ōwakudani unternommen. Zudem gingen wir viel spazieren und verbrachten einige Sommernachmittage am Strand von Enoshima. Da alle diese Orte innerhalb der Präfektur Kanagawa lagen, hielten wir uns mit diesen Ausflügen an alle Auflagen, die es zu diesem Zeitpunkt gab. Die Möglichkeit im Sommer etwas unterwegs zu sein, verlieh mir persönlich auch ein wenig ein Gefühl von Normalität.
Allein auf dem Campus
Ab Anfang August 2020 kehrten die anderen Studentinnen zurück in ihre Heimatländer. Obwohl es zunächst hieß, dass neue Studentinnen Anfang September kommen sollten, wurde ihre Ankunft aufgrund der Gesetzeslage aber auf Oktober und schließlich auf November verlegt. Über diesen Zeitraum war ich komplett allein auf meiner Wohnheimsetage und in meinen Sprachkursen. Meine beiden Japanischlehrerinnen haben diesen Umstand großartig gehändelt. Ich durfte selbst mitbestimmen, welche Kursinhalte mich interessierten und mit welchen Lehrbüchern ich weiterarbeiten wollte. Zweimal die Woche durfte ich in den Sprachkursen mitmachen, die für diejenigen Studentinnen konzipiert waren, die auf Japanisch ihren Abschluss machen wollten. Und da ich mich für das N2-Niveau des JLPT angemeldet hatte, konnte ich im Einzelunterricht die Grammatik im Detail durchgehen und mich wirklich gut vorbereiten. Auch alle diese Kurse des Wintersemesters fanden erneut ausschließlich online statt, woran sich aber zu diesem Zeitpunkt alle schon gewöhnt hatten.
Obwohl ich also meinen zwischenzeitlichen Einzelunterricht als bereichernd empfand, war ich sehr froh, als Mitte November 2020 zwei neue Austauschstudentinnen aus Taiwan ins Wohnheim zogen und am Sprachunterricht teilnehmen konnten. Während im Sommersemester viel Englisch unter den Austauschstudentinnen gesprochen wurde, gewöhnte ich mich schnell im Wintersemester daran, mich ausschließlich auf Japanisch mit den anderen zu unterhalten.
Rückkehr in ein ungewohntes Deutschland
Ende 2020 verlegte ich dann meinen Rückflug auf Anfang Februar 2021 vor, da auch in Japan zum Jahresende erneut die Infektionszahlen stiegen und abzusehen war, dass Reisen und andere Freizeitaktivitäten zwischen den Semestern schwer umzusetzen sein würden. In diesem Zeitraum habe ich mir viele Gedanken über das Zurückkehren nach Deutschland gemacht – ein Pandemiedeutschland, das ich ja überhaupt nicht kannte. Was ich während meines Auslandsaufenthaltes vermisst hatte – das Treffen mit Freund*innen, das Campusleben, meinen Nebenjob als Nachhilfelehrerin – all das würden auch Sachen sein, die ich in Deutschland aufgrund der Pandemiebedingungen weiter vermissen würde. Da ich von vornherein nicht damit gerechnet hatte, mein ganzes Auslandsjahr im Schatten der Pandemie zu verbringen, muss ich gestehen, dass mir diese Gedanken Ende 2020 zum ersten Mal kamen. Glücklicherweise stiegen im Januar 2021 die Infektionszahlen in Japan nie so stark an, dass ich mir Sorgen um meinen Flug oder die Einreise nach Deutschland machen musste. Bis heute wurde Japan vom Auswärtigen Amt nie als Risikogebiet eingestuft und so musste ich bei der Einreise weder ein negatives Testergebnis vorlegen noch mich in Quarantäne begeben ( – habe ich aber freiwillig trotzdem gemacht).
Im Pandemiedeutschland habe ich mich trotz meiner Sorgen schnell eingewöhnt. Dass es nur wenige offene Geschäfte und es in den Supermärkten häufig kein Desinfektionsmittel gibt, waren dabei die Sachen, die mir am stärksten auffielen. Dass es in Deutschland jetzt vorgeschrieben ist Masken mit einem höheren Schutzstandard zu benutzen, finde ich gut, aber ich würde mir wünschen, die Deutschen würden sie auch häufiger draußen tragen.
Nach nun 3 Monaten in Deutschland blicke ich auf ein Auslandsjahr zurück, in dem ich meine Campusbesuche an einer Hand abzählen kann und in dem ich exakt eine Unterrichtsstunde in Präsenz hatte. Es war auch ein Auslandsjahr, in dem der Alltag im Studentinnenwohnheim im Zentrum stand und in dem ich dadurch sehr enge Freundschaften zu meinen Mitbewohnerinnen aufbauen konnte. Ich kann auch nicht von der Hand weisen, dass meine Japanischfähigkeiten einen gewaltigen Sprung gemacht haben und dass mein zwischenzeitlicher Einzelunterricht und die geringe Anzahl an Austauschstudentinnen dazu erheblich beigetragen haben.
Es ist schwierig ein abschließendes Fazit für mein Auslandsjahr zu finden. Es weiß schließlich niemand, wie dieses Jahr ohne die Pandemie verlaufen wäre. Aber wir alle machen seit über einem Jahr das Beste aus unseren Möglichkeiten. Und unter diesem Aspekt bin ich sehr froh und auch dankbar, dass ein Auslandsjahr in Japan im Pandemiejahr 2020 durch einen Zufall im Bereich meiner Möglichkeiten lag.
Ariane Hertel