Wie sieht der Alltag chinesischer Studierender an einer japanischen Universität aus?
Mit Evelyn Szawerski schließen wir heute unsere Interviewreihe mit dem dritten Jahrgang der Bachelor Plus Studierenden ab. Vor ihrem Japanaufenthalt im Rahmen des Bachelor Plus hat Frau Szawerski auch bereits einen Studienaufenthalt in China absolviert – da lag es nahe, die erworbenen Sprachkenntnisse zu nutzen und sich mit chinesischen MigrantInnen in Japan zu beschäftigen. Unter den Überseechinesen hat Frau Szawerski ihr Augenmerk auf die chinesischen Studierenden gelegt. Hier interessiert sie vor allem der Lebensalltag der Studierenden in verschiedenen Kontexten, wie z.B. die Beweggründe für ein Studium in Japan und die Erfahrungen in den verschiedenen Studienkontexten: Wie integrieren sich chinesische Studierende in ein japanisches Studienumfeld? Wie sieht der Kontakt mit japanischen Studierenden aus und welche Zukunftspläne haben die jungen chinesischen Migranten? Diesen und anderen Fragen ist Frau Szawerski im Rahmen Ihres BA+ Projekts „Alltag und Studienumfeld chinesischer Studierender an einer japanischen Universität“ an der Keiô Daigaku in Tôkyô nachgegangen.
BA+: Frau Szawerski, was hat Sie daran gereizt, sich mit den „Übersee-Chinesen“ in Japan zu beschäftigen?
Da ich vor meinem Studium des Modernen Japan bereits Chinastudien studiert hatte, stellte das Projekt für mich die Möglichkeit dar, im Rahmen meines Auslandsaufenthaltes in Japan eine Verbindung zwischen diesen Studienschwerpunkten herzustellen. Diese Kombinationsmöglichkeit meiner beiden Studienfächer war somit der wohl größte Antrieb, mich mit Übersee-Chinesen in Japan zu beschäftigen.
BA+: Wie und wo haben Sie versucht, für Ihr Projekt chinesische Interviewpartner und -partnerinnen zu finden?
Nach meiner Ankunft in Japan habe ich zunächst die Orte erkundet, die eine direkte Verbindung mit China aufweisen, allen voran die Chinatown in Yokohama. Allerdings musste ich schnell feststellen, dass der Feldeinstieg gerade an solchen Orten recht schwierig ist, weil die Chinatown eigentlich mehr ein Touristenmagnet als ein alltäglicher Aufenthaltsort für Chinesen geworden ist. Daher versuchte ich, einerseits über Internetgruppen sowie Freunde, Bekannte und Professoren Kontakte herzustellen. So konnte ich eine Internetgruppe ausfindig machen, von der ich mir persönlich sehr viel versprochen hatte. Leider hatte ich das letzte Treffen verpasst, da es stattfand, kurz bevor ich auf die Gruppe aufmerksam geworden war. Das darauffolgende Treffen wurde dann wegen eines Taifuns abgesagt, weil keiner bei Wind und Wetter picknicken gehen wollte und das nächste Treffen ließ dann so lange auf sich warten, dass ich in der Zwischenzeit bereits über einen anderen Weg Kontakte gefunden hatte. Für mich war es sehr wichtig, dass ich mich nicht nur auf eine Kontaktmöglichkeit verlasse, sondern gleichzeitig mehrere Alternativen ausprobiere, um sicherzugehen letztendlich auch Kontakte zu finden. Letzten Endes hat dann gerade eine Professorin, von der ich mir eigentlich kaum wertvolle Hinweise erhofft hatte, den entscheidenden Kontakt vermitteln können. Eine andere Professorin, von der ich mir hingegen mehr Hilfe erhofft hatte, weil sie sich fachlich mit Minderheiten in Japan beschäftigt, konnte mir dagegen nicht weiterhelfen. Es ist daher sicher nicht verkehrt, mehrere Eisen im Feuer zu haben und immer die Augen offen zu halten, ob sich nicht eine günstige Gelegenheit bietet, Kontakt zu möglichen InformantInnen herzustellen.
BA+: Im Laufe des Japanaufenthaltes haben Sie die thematische Ausrichtung Ihres Projekts ein wenig geändert. Wieso war das nötig und was genau haben Sie an Ihrem Projekt geändert?
Als ich den Feldeinstieg geschafft hatte und Kontakt zu Chinesen hergestellt hatte, musste ich leider feststellen, dass mein ursprüngliches Thema – die Einstellungen chinesischer Migranten gegenüber den japanischen Medien – ein wenig abseits der Interessen meiner Kontakte lag. Ich hätte sicherlich auch von Neuem anfangen können, passende Kontakte zu suchen, aber da ich gerade Zugang zu einer recht homogenen Gruppe aus chinesischen Studierenden gefunden hatte, wollte ich diese Chance nicht verstreichen lassen und habe daher mein Thema der Situation angepasst, um diese besondere Teilgruppe chinesischer Migranten in Japan näher zu untersuchen. Da es sich um Studierende handelte, lag ihr Hauptinteresse nicht direkt bei den japanischen Medien, sondern war auf ihr Lebensumfeld, die Uni und die damit verbundenen Aufgaben und Probleme fokussiert. Die meisten befanden sich zum damaligen Zeitpunkt außerdem mitten im Bewerbungsstress um eine Anstellung nach ihrem Abschluss, sodass ich diesen Aspekt auch in meine Untersuchungen einbeziehen konnte.
BA+: Für den weiteren Verlauf Ihrer Forschung war die Änderung Ihrer Fokussierung sicher eine gute Entscheidung. Welche Themen waren für Ihre chinesischstämmigen Interviewpartner und -partnerinnen denn besonders wichtig?
Da ich eine recht homogene Gruppe aus chinesischen Studierenden als Interviewpartner gewinnen konnte, waren die Interessen einigermaßen vergleichbar. Die meisten konzentrierten sich auf ihr Studium und waren mit der weiteren Lebensplanung beschäftigt. Da alle bereits seit einigen Jahren in Japan leben, spielten Integrations- oder Sprachprobleme eine untergeordnetere Rolle, als ich es angenommen hatte. Alle sprachen fließend Japanisch und bis auf einige Kommunikationsprobleme und kulturelle Unterschiede konnte keiner von erheblichen Problemen mit seiner japanischen Umwelt berichten.
Trotz der vielen Gemeinsamkeiten gab es aber auch ein paar Punkte, in denen sich die Orientierung meiner Interviewpartner unterschied. Nicht alle hatten eine klare Vorstellung ihrer beruflichen oder privaten Zukunft. Für Japan als dauerhaften Arbeitsplatz und Lebensraum konnte sich keiner meiner Interviewpartner aussprechen, als vorübergehende Phase zur Ausbildung und Steigerung der Berufschancen wurde Japan allerdings vor China und anderen Ländern der Vorzug gegeben. Viel wichtiger war den meisten allerdings die Gegenwart, d.h. aktuell anstehende Uni-Arbeiten und natürlich die Bewerbung um einen guten Job. Shūshoku Katsudō und Karriere gehörten auf jeden Fall zu den wichtigsten Themen im Leben der chinesischen Studierenden. Die meisten scheinen das Studium in Japan bzw. an der Keiô als gute Chance wahrzunehmen, ihre Berufschancen zu steigern und später im Beruf ein hohes Einkommen zu erzielen sowie einen anspruchsvollen Beruf auszuüben. Die Lebensplanung, ob in China, Japan oder anderswo und Schwierigkeiten im japanischen Umfeld haben hingegen keine große Rolle gespielt, entgegen meiner Erwartungen!
BA+: So wie Sie es schildern, konnten Sie bereits viele interessante und teilweise auch überraschende Erkenntnisse zur Lebenswelt chinesischer Studierender in Japan sammeln! Warum haben Sie sich bei der Planung Ihres Studien- und Forschungsaufenthaltes in Japan denn für das Bachelor Plus-Programm entschieden?
Da ich vor dem Projekt noch keine Erfahrung im Bereich der Feldforschung sammeln konnte, empfand ich das Bachelor Plus-Programm als ideale Starthilfe. So war ich nicht völlig auf mich allein gestellt und konnte der Gefahr aus dem Weg gehen, aufgrund mangelhafter Kenntnisse an der praktischen Umsetzung meines Vorhabens zu scheitern. Die Vorbereitung auf den Auslandsaufenthalt im vierten Semester und die regelmäßigen Online-Sitzungen während des Aufenthalts in Japan haben mir dabei sehr geholfen, mein Projekt voranzubringen und einen regelmäßigen Arbeitsrhythmus zu entwickeln. Weiterhin habe ich mir durch die Teilnahme am Bachelor Plus erhofft, mein Studium in Japan sinnvoll und intensiv zu nutzen, indem ich auch anrechenbare Leistungen für mein Studium in Deutschland erbringe. Das Konzept des vierjährigen Bachelors fand ich dabei besonders sinnvoll, vor allem durch die Verkürzung des Masters auf nur zwei Semester. Ein Jahr im Ausland verbringen zu können, ohne dabei die reguläre Studienzeit verlängern zu müssen, ist eine tolle Chance, die ich gern nutzen wollte. Da ich als Studentin im Zweitstudium keinen Anspruch auf AuslandsBafög habe, hat die finanzielle Unterstützung sicherlich auch eine Rolle gespielt, aber die Betreuung während der Projektdurchführung war mir wesentlich wichtiger. Ich denke, dass das wunderbar funktioniert hat und im Vergleich zu meinem vorherigen Aufenthalt in China fühle ich mich viel intensiver und zielgerichteter betreut, wodurch ich den Aufenthalt insgesamt besser nutzen konnte.
BA+: Es freut uns sehr, dass Sie ein so positives Fazit zum Bachelor Plus Programm ziehen! Auch an der Keiô scheint es Ihnen ja sehr gut gefallen zu haben – Sie haben Ihren Aufenthalt dort um noch ein Semester verlängert – Grund genug für uns, unsere normalerweise fünf Fragen um eine abschließende Frage zu erweitern: Was haben Sie denn für Ihre weitere Zeit in Japan geplant?
Ja, das Studium an der Keiô macht mir tatsächlich sehr viel Spaß und ich habe das Gefühl, dass mich die zwei Semester sehr vorangebracht haben. Der Unterricht ist zwar im Gegensatz zu den Sprachkursen im Studiengang Modernes Japan ein wenig gewöhnungsbedürftig, weil ein Großteil des Unterrichts damit verbracht wird, den Lesetext vom Band nachzusprechen, aber das wiederum trainiert das Hörverständnis und gibt einem mehr Gefühl für häufig zusammen verwendete Wortkombinationen. Neben den Basis-Sprachkursen kann man aber auch aus einem breiten Angebot an Sprachkursen mit einem speziellen Fokus wählen. Entsprechend den eigenen Schwächen ist es möglich, gezielt Sprachkurse zu wählen, die dort ansetzen, wo die eigenen Schwächen liegen. Jede Disziplin ist dabei in verschiedenen Schwierigkeitsstufen wählbar, sodass man keine Probleme hat, einen Kurs zu finden, der dem eigenen Niveau entspricht. Darüber hinaus ist das Angebot an englischsprachigen Seminaren breitgefächert. Wenn man sprachlich die Oberstufe erreicht hat, kann man aus dem japanischen Kursangebot für die regulären Studenten wählen. In diesem Semester möchte ich mich vor allem auf die Sprache konzentrieren und eventuell auch ein oder zwei reguläre japanische Seminare oder Vorlesungen besuchen. Da es dann wirklich mein letztes Semester an der Keiô sein wird, möchte ich noch einmal alle Möglichkeiten nutzen, bevor ich wieder nach Deutschland zurückkehre. Neben der Uni erhoffe ich mir außerdem, an meinem Projekt weiterarbeiten zu können und eventuell schon mit der Projektarbeit anzufangen, damit das eine außerplanmäßige Semester nicht ganz ohne direkten Nutzen für mein Studium in Deutschland bleibt. Und wenn ich dann mal Freizeit habe, freue ich mich natürlich auch, das Leben in Tôkyô genießen zu können. Die Stadt ist so groß, dass man Jahre bräuchte, um alles zu erkunden und dann finden ja auch immer wieder Veranstaltungen statt, sodass ich mir kaum vorstellen könnte, wie mir Tôkyô je langweilig werden könnte!
BA+: Das denken wir auch! Frau Szawerski, vielen Dank für das ausführliche Gespräch. Für das zusätzliche Semester und die restliche Zeit in Japan wünschen wir Ihnen alles Gute!