Kunst und Kultur

Wacky- und Techno-Orientalism: Eine Analyse der (Selbst-)Darstellung Japans

Dieser Text ist verfasst von Yasin Cetin.

Entweder als Land des kulturellen Gegensatzes oder als technologische Utopie bzw. Dystopie charakterisiert, nimmt die Wahrnehmung Japans im Westen im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern eine Sonderposition ein. In der Darstellung des „typischen“ Japans werden sowohl positive Stereotype wie Pünktlichkeit, Ordentlichkeit, Sauberkeit etc., als auch negative Eigenschaften wie eine Obsession mit Technologie und eigenartiger Kultur nebeneinander platziert. Trotz der kulturellen Vielfalt des Landes wird die japanische Kultur oft als homogenes Konstrukt wahrgenommen, und die Existenz vielfältiger sozialer Lebenswelten bleibt dabei eher unbeachtet. Doch wie kommt es zu dieser weit verbreiteten Wahrnehmung der japanischen Kultur? Woher stammen die positiven und negativen Stereotype, die mit Japan verbunden werden?

Um diese Fragen beantworten zu können, ist es wichtig nachzuvollziehen, wie und woher Stereotype gegenüber dem „Orient“ und Asien entstanden sind, wie sie instrumentalisiert wurden und werden, und auf welche Weise die Anwendung und Reproduktion von Stereotypen die Gesellschaft beeinflusst.

Ob bewusst oder nicht, die meisten Menschen haben mit hoher Wahrscheinlichkeit eine lebendige Vorstellung davon, wie der „Orient“ aussieht und sich anhört: Man stellt sich eventuell eine spärliche Landschaft vor, die durch den Glimmer der durch Hitze wabernden Luft unwirklich und verschwommen wirkt. Man hört jemanden die Seiten einer Oud zupfen, und eine summende Stimme singt ein Lied in der (ironischerweise) ungarischen Tonleiter.

Das in diesem Beispiel konstruierte Bild des Orients entspricht offensichtlich einem Ort, der in der Realität nicht existiert. Noch heute werden Länder im mittleren Osten in Hollywoodfilmen wie Beirut (2018), American Sniper (2014), Argo (2012) usw. als kulturell homogen, mysteriös, und gefährlich dargestellt. Doch wie kam es dazu, dass eine Vorstellung des mittleren Ostens als kulturell homogene Zone unter dem Überbegriff „Orient“ entstand, und welche Relevanz hat dies für die Japanforschung? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns mit dem Thema „Orientalismus“ beschäftigen.

Edwards Saids Orientalismus: Eine kurze Einführung in ein komplexes Konzept

Orientalismus bezieht sich auf eine Art des Denkens und der Darstellung, bei der der „Orient“, im Wesentlichen die Regionen des Nahen Ostens, Asiens und Nordafrikas, durch die Linse westlicher Kulturen betrachtet wird. Dieses Konzept wurde maßgeblich durch den palästinensisch amerikanischen Akademiker und Literaturkritiker Edward Said in seinem Buch „Orientalism“ von 1978 geprägt.

Said untersuchte die multidimensionalen Beziehungen zwischen Politik, Literatur, Sprache, und die durch diese Aspekte ausgeübte Macht, über den öffentlichen Konsens. Dabei wird die problematische Darstellung des “Orients“ durch westliche Autor*innen, Journalist*innen, Künstler*innen und Gelehrten untersucht, um aufzuzeigen wie ein negatives Bild östlicher Kulturen erschaffen wurde, dass noch heute im sozialen Konsens vertreten ist. Die Darstellung des „Orients“ als stagnierend, unkultiviert, verdorben und inkompatibel mit westlichen Werten ist hierbei besonders auffällig, da diese Charakterisierung eines fiktiven Ortes als Sammelbegriff für hunderte verschiedenste Kulturen in der Vergangenheit als Narrative genutzt wurde, um die Kolonialpolitik europäischer Nationen zu rechtfertigen. Im Zentrum dieser Narrative steht eine klare superiore Stellung des kultivierten Westens, der die Aufgabe hat, den inferioren, unkultivierten Osten durch die Näherbringung der westlichen Kultur zu „Retten“. Dieses Konzept wurde jedoch nicht nur gegen den „Orient“ propagiert, sondern auch als Rechtfertigung der Missionierung indigener Völker genutzt. Doch wie sieht ein frühes Beispiel für Orientalismus aus?

Orientalismus in europäischer Kunst

Der „Orient” übte bereits im 18. Jahrhundert eine Faszination auf westliche Künstleraus. „Fernöstliche“ Figuren erschienen in zahlreichen Werken der Barockzeit und Renaissance, und Darstellungen von opulenten Szenen in Badehäusern oder Harems erfreuten sich insbesondere in dem französischen Rokoko großer Beliebtheit. Allerdings gab es zu dieser Zeit nur wenig Kontakt zwischen Europa und dem Osten außerhalb von Krieg und Handel und die meisten Werke dieser Zeit entstammten einer durch Geschichten oder Textkörper entnommenen Vision nahöstlicher Länder.

Mit der militärischen Besetzung Ägyptens durch Frankreich von 1798-1801 kam es allerdings zu vermehrtem kulturellen Kontakt. Obwohl viele Europäer sich durch Reiseberichte oder staatlich publizierte Literatur wie „Description de l´Égypte“ ein Bild des „Orients“ machten, gab es auch andere, die tatsächlich Ägypten und weitere Länder im mittleren Osten bereisten.

Einer von Ihnen war der Künstler Jean-Léon Gérôme (1824–1904), der im Jahr 1856 eine „Grand Tour“ des Nahen Ostens unternahm. Dabei fuhr er zunächst den Nil herauf, besuchte Kairo, dann Faiyum, später Abul Simbel, Jerusalem, und Damaskus. Anstatt einzelne Szenen darzustellen, entwickelte sich aus seiner Reise eher ein fiktiver Raum, der Eindrücke aus den bereisten, „orientalischen“ Ländern visuell vereinte. Dieser „orientalistische“ Stil kombiniert Elemente verschiedenster östlicher Kulturen, um einen fiktiven Orient zu erschaffen, der in dieser Form nie existierte. Ein prominentes Beispiel für diesen Sachverhalt ist das Gemälde „The Snake Charmer“. Sarah Lees beschreibt in ihrem Katalogteil, wie „The Snake Charmer“ zahlreiche zusammenhangslose Elemente der ägyptischen und türkischen Kultur verbindet, um eine Szene zu erschaffen die der Künstler unmöglich hätte miterleben können (Lees, 367-371).

So war bspw. Schlangenbändigen nie Teil der ottomanischen Kultur, sondern Teil der Kultur des antiken Ägyptens. Auch die im Bild zu sehende Schlange ist keine im Nahen Osten heimische Spezies, sondern eine südamerikanische Boa Constrictor. Des Weiteren tragen die Zuschauer, die sich an die Wand lehnen, die Gewänder zahlreicher unterschiedlicher islamischer Stämme, welche in dieser Form keinen Kontakt zueinander hatten. Der Künstler erschafft somit einen komplett fiktiven Raum, der das Bild eines möglichst exotischen Ostens vermittelt, und kreiert somit Stereotype gegenüber realen kulturellen Lebenswelten, die vonMenschen, welche keinen Kontakt zu besagten Kulturen haben, als objektive Realität wahrgenommen werden.

In Anbetracht dieser Hintergründe ist es entscheidend, die Bedeutung des Orientalismus im Kontext Japans zu verstehen. Der Wacky- und Techno Orientalismus, welches Japan stereotypisch als skurril oder technologisch überlegen da stellen, sind Teil dieser langen Tradition.

Wacky Orientalism: Die Wahrnehmung Japans als skurril

Wacky Orientalism beschreibt eine spezielle Form des Orientalismus, bei der Japan und seine Kultur durch eine Linse der Skurrilität und der Exotik betrachtet werden. Dabei wird eine verzerrte Darstellung der japanischen Kultur als Sammlung von traditionellen Elementen wie Geishas, Ninja, Tempeln und exotischem Essen, sowie Elementen aus der Moderne wie Maid Cafés, Host Clubs, Pachinko Parlor etc., geschaffen (Wagenaar, 47).

Westliche Medien reproduzieren dieses Stereotyp und nutzen es gezielt, um ein Mythos eines fremdartigen Japans aufrecht zu erhalten. So heißt es in der Videobeschreibung eines Beitrags der Sendung Galileo auf YouTube beispielsweise: „Softeis mit Fischtopping und eine Wohnung voller Hello Kitty Merchandise – Die Bewohner:innen Japans sind vor allem für ihre außergewöhnlichen Leidenschaften bekannt“ (Galileo, „Fischeis und Hello Kitty: Skurriles Essen und schräge Jobs in Japan“). Auffällig ist in diesem Beispiel, dass eine generalisierte Aussage über Japaner:innen getätigt wird, obwohl es sich bei beiden Beispielen um besondere, auch für Japan einzigartige, Sachverhalte handelt. Somit entstehen Stereotype, die einzelne Aspekte sozialer Lebenswelten überproportioniert repräsentieren. Auch einzigartige Hotels oder Restaurants wie das Henn na Hotel Maihama Tokyo Bay, in dem Gäste von Roboter Dinosauriern empfangen werden, werden eher als Norm statt Ausnahme dargestellt.

Das Framing einer grellen, schrillen, mit Populärkultur besessenen Gesellschaft, welches oft durch Bilder oder Videos von Cosplayern oder Gamern begleitet wird, ist eine immer wieder auftauchende Darstellung. Aspekte wie diese spiegeln sich auch im Online-Diskurs, vor allem in Memes wider, werden allerdings auch durch westliche Musiker und Künstler instrumentalisiert. Hier ein einige Beispiele:

Abseits des Wacky-Orientalismus gibt es allerdings eine weitere Art und Weise auf die Japan durch eine orientalistische Linse betrachtet wird.

Techno-Orientalism: Die Darstellung Japans als futuristische Dystopie

Der von Kevin Morley und David Robins geprägte Begriff „Techno-Orientalism“ beschreibt die westliche Wahrnehmung Japans als hochtechnologisches, aber auch unmoralisches Land (Morley et al.167-174). Dabei wird Japan als dystopische Zukunftsgesellschaft dargestellt, welche mit ihrer strengen Bürokratie und Konformität entmenschlicht und eine absurde Obsession mit KIs und Robotern hat.

Durch den Techno-Orientalismus gelingt es dem Westen, die moralische und kulturelle Vorherrschaft über Japan zu behaupten. Techno-Orientalistisches Framing findet sich genau wie Wacky Orientalism auch in Medien wieder. Ein Beispiel für die vor allem in den 1980ern prävalenten Techno-Orientalistischen Ansichten zu Japan ist der Song Mr. Roboto (1983) der Band Styx. Der Song kritisiert mit Textpassagen wie „you’re wondering who I am, machine or mannequin, with parts made in Japan, I am the modern man” in Verbindung mit der visuellen Darstellung der japanischen Roboter im zugehörigen Musikvideo offenkundig die wahrgenommene Entmenschlichung der Gesellschaft und Obsession der Japaner mit Robotern und künstlicher Intelligenz.

Fazit

Es ist wichtig, die Herkunft und Auswirkungen von Stereotypen zu verstehen, um sie zu überwinden. Durch eine kritische Betrachtung können wir die Wahrnehmung von Japan verändern und ein realistischeres Bild der vielfältigen japanischen Gesellschaft zeichnen. Die Darstellung Japans sollte nicht auf Stereotypen und Ängsten längst vergangener Jahrzehnte basieren, sondern auf einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Kultur und Gesellschaft des Landes. Die Linse des Orientalismus spielt hierbei eine unglaublich große Rolle, und nur mit einer Hinterfragung der durch jahrelange Reproduktion gesellschaftlich verankerten Stereotypen gegenüber Ländern wie Japan ist es möglich, ein neutrales und auf Fakten basiertes Bild von Kultur und Gesellschaft im gesellschaftlichen Kontext zu etablieren.

_______________________

Medien:

American Sniper. Regie: Clint Eastwood, Skript: Jason Hall, Chris Kyle, Scott McEwen,
https://www.imdb.com/title/tt2179136/?ref_=fn_al_tt_1.

Argo. Regie: Ben Affleck, Skript: Chris Terrio; Tony Mendez; Joshuah Bearman,
https://www.imdb.com/title/tt1024648/.

Beirut. Regie: Brad Anderson, Skript: Tony Gilroy, https://www.imdb.com/title/tt4669264/.

„Fischeis und Hello Kitty: Skurriles Essen und schräge Jobs in Japan “, YouTube, hochgeladen von Galileo, 27.03.2023, https://www.youtube.co/watch?v=a1W5oYGO5Z0.

“Mr.Roboto”, Geschrieben von: Dennis DeYoung, gespielt von Styx (1983).

Nihongo, 2023: Hans-Georg Maaßen – Das machen Japaner besser als Deutsche, Ehe mit Japanerin und mehr [https://www.youtube.com/watch?v=emZpQmEYf2U&t=36s]

Perrin, Andrew. „Social media usage.“ Pew research center 125 (2015): 52-68.

Rosenblatt, Kalhan (31.12.2020):“YouTuber Logan Paul is sued over ’suicide forest‘ video
[https://www.nbcnews.com/pop-culture/pop-culture-news/youtuber-logan-paul-sued oversuicide-forest-video-n1252610]

Literatur:

Lees, Sarah: “Nineteenth-century European Paintings at the Sterling and Francine Clark Art Institute”, 367-371 (https://media.clarkart.edu/1955.51_EuroCat.pdf).

Morley, David, and Kevin Robins (2002): Spaces of identity: Global media, electronic landscapes, and cultural boundaries. 147-174, Routledge.

Said, Edward. (1978): „Orientalism: Western concepts of the Orient.“ New York: Pantheon.

Wagenaar, Wester. „Wacky Japan.“ The Elephant-shaped Hole in the Universe, 46-49.

Grafiken:

Bild 1: https://www.spiegel.de/reise/aktuell/roboter-hotel-in-japan-wo-ein-dino-die gaestebegruesst- a-1139046.html

Bild 2: https://aminoapps.com/c/anime/page/blog/meanwhile-injapan/kvtG_upD6m7aKJjdakb0leP22Yqwq7

Bild 3: https://www.youtube.com/watch?v=a1W5oYGO5Z0

Bild 4: https://www.youtube.com/watch?v=LiaYDPRedWQ

Bild 5: https://www.youtube.com/watch?v=uc6f_2nPSX8 (0:50)