Wieviel Manga gibt es in Brüssel? Dieser Frage widmen sich in diesem Artikel Noelia Muñiz Schley und Aylin Leuner, die sich vom 11. bis 13. Juni 2018 mit einigen Mitstudierenden und Dozierenden des Arbeitskreises „Graphisches Erzählen“ der Philosophischen Fakultät auf eine dreitägige Reise in Belgiens Hauptstadt begeben haben.
Berühmt ist diese Stadt nicht nur für ihre leckeren Waffeln und landestypischen Pommes frites, sondern vor allem auch für Comics. Daher wird sie auch als Hauptstadt des Comics bezeichnet. Gemeint sind damit die frankobelgischen Werke wie beispielsweise Tim und Struppi oder Lucky Luke, die aus dem französischsprachigen Europa stammen und weltweite Berühmtheit erlangt haben. Als Studentinnen des Fachs Modernes Japan stellten wir uns natürlich die Frage, ob in einem Land, das seine eigene hochwertige Comickultur besitzt, der japanische Manga wohl ebenso präsent und beliebt ist wie bei uns in Deutschland. Daher lautete unsere Mission für diese Reise: Ausschau nach japanischen Manga zu halten. Auf unserem vielfältigen Programm standen vor allem Besuche berühmter Museen im Vordergrund, doch hatten wir auch genügend Freizeit, in der wir Brüssel auf eigene Faust erkunden und uns ausgiebig auf die Suche nach Manga und anderen japanbezogenen Themen machen konnten.
Kurz nach unserer Ankunft in Brüssel führte uns der erste Weg in die Innenstadt, wo wir auf einen kleinen, vorwiegend auf japanischen Manga und Anime spezialisierten Laden stießen, der den passenden Namen Super DragonToys – Le specialiste en japanimation trug. Das Schaufenster voller Animefiguren und -poster wirkte bereits sehr vielversprechend! Wir nahmen uns vor, dem Lädchen später noch einen Besuch abzustatten. Obwohl wir unseren Fokus auf die Einflüsse der japanischen Popkultur in Brüssel gelegt hatten, so entgingen uns doch nicht die wunderschönen gotischen und barocken Bauten auf dem Grand-Place, dem zentralen Platz in Brüssel und einem der berühmtesten Wahrzeichen der Stadt. Bei diesem kleinen Sightseeing zwischen historischen Gebäuden und Touristenattraktionen fiel uns unerwarteterweise ein Cosplayer auf.
Doch dies sollte noch lange nicht das Ende unserer Begegnungen mit der japanischen Anime- und Mangakultur sein. Bereits am Tag unserer Ankunft stand ein Besuch des Belgischen Comic-Zentrums – dem Centre belge de la bande dessinée – an, wo wir die Wartezeit bis zu unserer Museumsführung im museumseigenen Comicbuchladen überbrückten. Unter einer großen Auswahl verschiedener frankobelgischer Comics wurden wir fündig: auch Manga standen zum Verkauf. Zwar übertraf das Sortiment an belgischen Comics das Manga-Angebot bei Weitem, doch waren einige berühmte Reihen wie Bleach oder Thermæ Romæ vertreten. Und das war noch nicht alles, denn das Angebot umfasste zudem diverse Merchandisingartikel zu Serien wie One Piece, Dragon Ball und Naruto Shippuden, die in einer Vitrine ausgestellt waren. Des Weiteren zog ein Regal mit Postkarten unsere Aufmerksamkeit auf sich, die anhand einer kleinen Mangastory den Ursprung verschiedenster Vornamen erklärten. Es war interessant zu sehen, wie viele Bezüge zu Anime und Manga tatsächlich in diesem Comicbuchladen zu entdecken waren.
Daraufhin begann auch bereits die Führung mit einer kleinen Vorstellung von Hergé, dem Erfinder von Tim und Struppi, dessen Museum wir noch am Folgetag besuchen sollten. Es folgte eine Übersicht über die Erfindung und Entwicklung des Comics, in der die Erwähnung Katsushika Hokusais, einem der wichtigsten Vertreter der Ukiyo-e, nicht fehlen durfte. Weiter ging es in einen Raum, der dem Werk Boerke (im Ausland auch bekannt als Dickie) von Pieter de Poortere gewidmet war. Seine Comicstrips, die ohne jeglichen Dialog oder Sprechblasen auskommen, handeln von einem Mann mit Schnauzbart, der mit viel schwarzem Humor skurrilen Situationen ausgesetzt wird. Die Art der Erzählung erinnert an die japanischen Yonkoma-Manga, mit dem Unterschied, dass bei Boerke zwölf statt vier Panels benutzt werden, womit mehr Freiheit bleibt, um zur Pointe hinzuführen.
Auf dem Weg zum nächsten Raum stand völlig unerwartet eine Statue von Son Goku in der Halle. Christos, unser Führer an diesem Tag, erklärte uns daraufhin den Unterschied zwischen Manga und frankobelgischen Comics. In japanischen Manga werde viel Wert darauf gelegt, dass der Protagonist oftmals eine Art „Superheld“ ist, stets darum bemüht, Schwierigkeiten und ihm in den Weg gelegte Steine zu überwinden, während frankobelgische Comics den Leser zum Schmunzeln bringen möchten und sich selbst nicht so ernst nehmen. Ein weiterer Raum war Peyo und seinem allseits bekannten Werk Die Schlümpfe gewidmet. Ebenso erzählte uns unser Führer einiges über das Museumsgebäude selbst. Dieses wurde von Victor Horta im Jugendstil entworfen und im Jahr 1906 zunächst als Kaufhaus Waucquez eröffnet.
In der obersten Etage befand sich eine Wechselausstellung zum chinesischen Manhua und der Entwicklung von Comics in China. Es war interessant zu sehen, dass einige Werke und Zeichenstile stark an japanische Vorbilder wie z. B. Ghibli erinnern, vieles aber auch seinen ganz eigenen, unabhängigen Charme hat. Für uns stand jedoch fest, dass wir als Laien die dort in einer Vitrine ausgelegten Manga-Zeitschriften, abgesehen von den Schriftzeichen, nicht von japanischen Manga hätten unterscheiden können.
Relativ am Anfang der Führung war uns ein Poster aufgefallen, das eine im westlichen Comicstil gezeichnete Geisha zeigte und auf dem ein Pfeil in einen abgewinkelten Gang deutete. Dieser Teil des Museums war in der Führung nicht inbegriffen, sodass wir voller Neugier bis zum Ende warteten, um dann auf eigene Faust zu sehen, was es damit auf sich hatte. Wir fanden einen Raum vor, in dem der zweibändige frankobelgische Comic mit dem Titel Geisha, ou le jeu du shamisen näher vorgestellt wurde. Dieser spielt Anfang des 20. Jahrhunderts in Japan und handelt von einem Mädchen, das in eine Geisha-Schule geschickt wird und das Spielen der Shamisen erlernt. Im Ausstellungsraum konnte man sich Informationen zur Geschichte dieses äußerst interessanten Comics durchlesen und auch einen Blick in den ersten Band werfen. Es war für uns sehr spannend zu sehen, wie viele Einflüsse aus Japan im Belgischen Comic-Zentrum zu finden waren.
Das Musée Hergé in Louvain-la-Neuve, etwa eine Stunde von Brüssel entfernt, war am zweiten Reisetag unser Ziel. Dort gab es natürlich wenig mit Japan-Bezug, ein Besuch lohnt sich aber trotzdem definitiv für jeden Comicfan! Über mehrere Stockwerke hinweg verteilen sich diverse Informationen zu Hergé, Tim und Struppi und dem Herstellungsprozess von Comics. Im Museumsshop fanden wir, neben etlichen anderen Sprachen, auch japanische Ausgaben der Tim und Struppi-Comics. Auf Japanisch heißt Tim übrigens タンタン, phonetisch angelehnt an seinen originalen Namen Tintin.
Nach unserer kleinen Reise in die Vergangenheit Hergés und zu den Ursprüngen Tim und Struppis, sahen wir uns noch ein wenig in Louvain-la-Neuve um und besuchten anschließend ein weiteres Comicfachgeschäft. Neben einer riesigen Auswahl an frankobelgischen Comics warteten dort auch viele amerikanische Comics und – zu unserer großen Freude – japanische Manga darauf, erstöbert zu werden. Im Gegensatz zu dem, was wir bisher angetroffen hatten, gestaltete sich hier das Angebot sehr umfangreich. Verkauft wurden sowohl berühmte Mangareihen als auch etwas unbekanntere Manga. Obwohl auch hier die Auswahl an Comics überwog, war es spannend zu sehen, welche Verbreitung der Manga in Belgien gefunden hat.
Aufgefallen sind uns allerdings die zum Teil höheren Preise der Manga, die im Vergleich zu Deutschland durchschnittlich etwa einen Euro teurer waren. Doch offensichtlich tun die belgischen Preise der Beliebtheit der Manga keinen Abbruch, da diese es geschafft haben, sich ihren Weg durch die Fülle an einheimischen Comics zu bahnen und sich einen festen Platz in jedem Comicbuchladen zu sichern.
Der dritte Reisetag und somit auch der Tag der Abreise stand ganz im Zeichen der frankobelgischen Comics: Der berühmte Comic-Parcours durch Brüssels Innenstadt stand auf der Tagesordnung. In diesem Rahmen haben wir viele von den insgesamt mehr als 50 wunderschönen Wandmalereien betrachtet und von unseren Comic-Experten interessante Details zu den jeweils dargestellten Comics erfahren. Das erste Wandgemälde entstand Anfang der 1990er-Jahre als Renovierungsmaßnahme, und seitdem kamen im Laufe der Zeit immer wieder Gemälde hinzu, wobei der Parcours bis heute noch durch weitere Kunstwerke ergänzt wird.
Ein Wandgemälde, das uns besonders ins Auge stach, zeigt Yoko Tsuno, einen Comic, der von der gleichnamigen Protagonistin Yoko Tsuno handelt. Yoko ist eine Elektronikspezialistin japanischer Herkunft, die jedoch in Belgien lebt und Aikido beherrscht. Derartige von Japan inspirierte belgische Comics sind uns auf unserer Brüsselreise des Öfteren begegnet. Besondere Aufmerksamkeit verdienen hierbei die frankobelgischen Comic-Reihen Senseï und Samurai, beide mit japanischen Hauptcharakteren.
Somit wird deutlich: Japan und seine Mangakultur üben einen unverkennbaren Einfluss sowohl auf Belgien als auch auf die belgische Comicwelt aus. Wenn auch die frankobelgischen Comics naturgemäß überwiegen, überall erhältlich sind und sogar das Stadtbild prägen, braucht man nach Manga nicht allzu lange zu suchen. So haben wir auf dieser schönen und spannenden Reise nicht nur ein Stück Vertrautheit in einem uns fremden Land gefunden, sondern ebenfalls viele neue Dinge über die europäische Comickultur gelernt!
Noelia Muñiz Schley, Aylin Leuner