iroiro – Diverses

Sumō – Eine reine Männerdomäne?

Sumō (相撲) – ein Ringkampf, der Millionen begeistert – und daher nicht zu Unrecht als Japans Nationalsport betitelt wird. Die Regeln des Sumō sind, vereinfacht dargestellt: Zwei Kämpfer* begegnen sich im Ring. Wer zuerst nach Außen tritt oder den Boden mit einem anderen Körperteil außer den Füßen berührt, hat verloren. In sechs ganztägigen Turnieren messen sich die besten Rikishi (力士) – Kämpfer* – des professionellen Sumō (大相撲 – ōsumō) jedes Jahr. Für die Fans sowie die Rikishi sind diese Events die wichtigsten im ganzen Jahr. Denn für die Kämpfer geht es um die Möglichkeit, in ihren Rängen aufzusteigen. Als Ziel wird in der Regel das Erlangen von „Ruhm“ und „Ehre“ ausgegeben. Für die Fans sind die Turniere tagesfüllend. Für ihre Lieblings-Rikishi strömen die Menschen in Massen in die Hallen, tragen Schilder und Wimpel mit den Namen ihrer Idole bei sich und feuern sie mit leidenschaftlichen Stimmen an. Auf den Sieg eines beliebten Kämpfers folgt tosender Applaus begleitet von begeisterten Rufen . Auf den Zuschauerrängen sitzen Jung und Alt, Groß und Klein sowie Menschen jeden Geschlechts und fiebern mit. Im Dohyō (土俵) – so heißt der Sumō-Ring – hingegen sind es nur schwergewichtige Männer, die sich mit entschlossenen Mienen gegenübertreten. Dazu passt das Bild, das wohl die meisten Menschen im Kopf haben, wenn sie an einen Sumō-Kämpfer denken: Ein schwergewichtiger Mann mit nichts außer einem Gürtel, dem Mawashi (廻し) bekleidet und der charakteristischen Frisur Chonmage (丁髷), bei der die Haare lang getragen und zu einem Knoten gebunden werden.

Auch finanziell lohnt sich so ein Auftritt. Die Rikishi in den sechs professionellen Sumō-Divisionen verdienen monatlich zwischen einer und zweieinhalb Millionen Yen – das sind ca. 8.000 bis 16.000 Euro. Sie leben vom Sumō, der Sport bildet den Mittelpunkt ihres Lebens.

Sumō hat eine sehr lange Tradition. Schon im Kojiki (古事記) von 712 und im Nihonshoki (日本書紀) von 720 wird der Ringkampf erwähnt. Ursprünglich war Sumō ein Kampf zur Unterhaltung der Shinto-Götter. Deshalb findet man noch heute im Sport einige religiöse Rituale, wie zum Beispiel das Werfen von Salz vor Kampfbeginn . Das wird gemacht, um den Ring spirituell zu reinigen und böse Geister abzuwehren. Dazu nehmen die Kämpfer üblicherweise vor dem Kampf Salz in ihre rechte Hand und werfen diesen in ihrem ganz eigenen Stil auf den Boden des Rings.

In seiner professionellen Form findet Sumō seit der Edo-Zeit (1603-1868) statt. Sumō gehört laut dem Sportwissenschaftler Sogawa Tsuneo zum ethnischen Sport. Dies beschreibt er als ein generelles Konzept für all jene Sportarten, die mit der traditionellen Kultur eines Landes verbunden sind oder zum Bilden einer speziellen kulturellen Identität in bestimmten Ländern, Gesellschaften, ethnischen Gruppen oder Gebieten beitragen (Sogawa 2006: 96). Die Rolle des Sumō als Japans Nationalsport ist ein eindeutiges Indiz für den ethnischen Charakter des Ringkampfes. Im Jahr 2018 wurde Sumō auch als Olympischer Sport anerkannt, dann aber aufgrund der fehlenden Repräsentation von Frauen im Sport nicht in den Olympischen Spielen inkludiert. Bei den Olympischen Spielen in Tōkyō im Jahr 2020 war zur Vorführung von traditioneller japansicher Kultur sogar eine inoffizielle Sumō-Partie geplant, die allerdings aufgrund der COVID-19-Maßnahmen abgesagt werden musste. Hätte der Kampf wie geplant stattgefunden, wäre er der einzige Ausreißer gewesen bei den – so das Internationale Olympische Komitee (IOC) – ersten geschlechtergerechten Olympischen Spielen (DeWitt 2021: 753).

Während Männer-Sumō sich also großer Beliebtheit erfreut, ist der Sport unter Frauen noch sehr neu und findet häufig abseits der großen Hallen und jubelnden Zuschauerscharen statt. Dies liegt auch daran, dass Frauen lange Zeit nicht einmal den Ring im Sumō betreten durften, da sie aufgrund ihres Menstruationsblutes als unrein galten. Früher war es ihnen sogar verboten, Kämpfe zu besuchen oder Rikishi zu berühren. Dies führte 2018 dazu, dass ein Rikishi bei einem Wettkampf im Ring starb. Dabei wollte ihm eigentlich eine Krankenschwester mit Wiederbelebungsmaßnahmen das Leben retten, sie wurde jedoch angewiesen, den Ring nicht zu betreten (Japan Times 11. April 2018). Dies führte zu einer allgemeinen Kritikwelle an Gender-Diskriminierung in Japan und insbesondere im Sport.

Tatsächlich scheint sich in der Sumō-Welt aber einiges zu tun. Schon seit 2001 findet jährlich die internationale Amateursumōmeisterschaft der Frauen statt. Und auch in Japan lassen immer mehr Wettkämpfe Frauen zu. International erlangt der Sport ebenfalls mehr und mehr Bekanntheit. Vor allem in Brasilien, wo der Sport besonders schnell wächst. Dort sind ca. die Hälfte der 600 Rikishi Frauen! Auch der weibliche Sumō-Verband (日本女子相撲連盟 – Nihon Jōshi Sumō Renmei) veranstaltete im Jahr 2019 in Tōkyō das erste nationale Wanpaku-Sumō (腕白相撲 – wörtl.: freches Sumō) – Kindersumō – extra für Mädchen. Trotzdem findet der überwiegende Anteil des Frauen-Sumō in Schul- oder Universitätsclubs statt. Eine Aufnahme in einen Stall (部屋 – heya – wörtl.: Raum) und damit eine professionelle und finanziell-abgesicherte Karriere ist allerdings immer noch undenkbar.

*Da der Japanische Sumōverband den Begriff „Ringer“ ablehnt, verwende ich hier stattdessen „Kämpfer“.

Quellenverzeichnis

Almonacid, Rodrigo (2023): „Female sumo wrestlers slap down prejudices in Brazil“; https://www.japantimes.co.jp/sports/2023/03/19/sumo/womens-sumo-brazil/ [Stand: 05.02.2024].

DeWitt, Lindsey E. (2021): „Japan’s Sacred Sumo and the Exclusion of Women : The Olympic Male Sumo Wrestler (Part 1)“. In: Religions Band: 12, S. 749-772.

Japan Guide (2023): „Sumo“; https://www.japan-guide.com/e/e2080.html [Stand: 05.02.2024].

Japan Sumo Association: „Grand Tournament Schedule“; https://www.sumo.or.jp/EnTicket/year_schedule [Stand: 05.02.2024].

Juagdan, Alexie (2023): „Exploring The Fascinating Ritual of Rice Throwing In Sumo Wrestling“; https://asianjournalusa.com/exploring-the-fascinating-ritual-of-rice-throwing-in-sumo-wrestling/ [Stand: 05.02.2024].

Mori, Hayami (2023): „How Much Do Sumo Wrestlers Make?“; https://questionjapan.com/blog/how-much-do-sumo-wrestlers-make/ [Stand: 05.02.2024].

Rookie Road (2023): „How Much Does a Sumo Wrestler Make?“; https://www.rookieroad.com/sumo-wrestling/how-much-does-sumo-wrestler-make-9211673/ [Stand: 05.02.2024].

Skogoreva, Yulia (2023): „The female sumo wrestlers fighting for recognition – a photo essay“; https://www.theguardian.com/artanddesign/2023/jun/30/the-female-sumo-wrestlers-fighting-for-recognition-a-photo-essay [Stand: 05.02.2024].

Sogawa, Tsuneo (2006): „Ethnic Sport, its Concept and Research Prospectives“. In: International Journal of Sport and Health Science Band: 4, S. 96-102.

The Japan Times (2022): „Teenage female wrestler determined to fight at iconic sumo venue“; https://www.japantimes.co.jp/sports/2022/03/17/sumo/female-sumo-wrestler/ [Stand: 05.02.2024].

Web Japan: „The History of Sumo“; https://web-japan.org/kidsweb/virtual/sumo/sumo03.html [Stand: 05.02.2024].

Ein Bericht von Julian Witzorky.