Im Rahmen der 150 Jahrfeier der japanisch-deutschen Beziehungen veranstalteten auch die Studenten des Instituts für Modernes Japan an der Heinrich-Heine-Universität ein Symposium, auf welchem junge, angehende Forscher ihre Ideen zu Japan, im Kontext von Transkulturalität, vorstellen konnten. Unter dem Thema „Japanische Populärkultur als Hybrid – Das Überschreiten kultureller Grenzen in der Postmoderne“ trugen sowohl Studenten der HHU, als auch Gäste von anderen Universitäten, zu einer lebhaften Diskussion bei und zeigten die Aktualität eines Kulturdiskurses im Rahmen der modernen Japanforschung.
Der erste Themenblock, unter dem Titel NARRATIVES, wurde von Andreas van Straalen, Masterstudent an der Heinrich- Heine Universität Düsseldorf, mit einem Vortrag zum Thema der japanischen Detektivliteratur eröffnet. Unter dem Titel „Japanische Detektivliteratur als transkulturelle Schemaliteratur?“ zeichnete er die Geschichte des orthodoxen Detektivromans – honkaku suiri shousetsu – von der Meiji- Zeit bis in die Gegenwart nach. Es wurde aufgezeigt, wie sich der orthodoxe Detektivroman, zunächst als „Importprodukt“ und „Imitation“ westlicher Autoren, mit der Verwendung „japanischer“ Motive und Szenarien im japanischen Literaturkanon einfinden und sich bis heute erfolgreich als Genre etablieren konnte. Dieser Typ des Detektivromans ist im Westen, als „unrealistisch“ kritisiert, mittlerweile kaum noch zu finden.
Besonders hervorgehoben wurde dabei der komplexe Umgang der japanischen Autoren mit ihren westlichen Vorbildern – von einer zunächst deutlichen Verortung der Geschichten in Japan auf der einen Seite, einer ebenso deutlichen Nähe zu ihren „westlichen“ Vorbildern und der anhaltenden Popularität, auch westlicher Autoren, auf der anderen Seite. In neueren Werken des Genres spiele eine spezifische kulturelle Verortung des Romangeschehens allerdings kaum noch eine Rolle. Vielmehr liege der Fokus hier auf der Darstellung eines möglichst raffinierten Tricks, einer Täuschung des Lesers unter Rückgriff auf eine Database (Modell nach Azuma Hiroki) narrativer Merkmale.
Sebastian Boehnert, ebenfalls Masterstudent an unserem Institut, zeigte in seinem Vortrag „Mystery Japanesque? – Bilder des japanischen Mystery“, anhand verschiedener Beispiele diverse Aspekte von Japanizität und Transkulturalität im japanischen Mystery-Genre auf. Angefangen mit dem scheinbar genuin japanischen Anime Shiki und der entsprechenden, von Ono Fuyumi verfassten Romanvorlage, die sich, bei näherem Hinsehen, als stark von Stephen Kings Salem’s Lot beeinflusst zeigen, wurde der Frage nachgegangen, ob überhaupt von einem „japanischen“ Mystery-Genre die Rede sein könne.
Unter Bezugnahme auf C.L. Strauss’ Konzept der Bricolage, Azuma Hirokis Database Modell und dem in der modernen Populärkultur vor allem durch die Comic-Giganten Marvel und DC begründeten Konzept der shared worlds zeigte Boehnert die komplexe, wechselseitige transkulturelle Beeinflussung populärkultureller Produkte auf. Als weiteres Beispiel wurden hier die japanischen Beiträge zu H.P. Lovecrafts Cthulu-Mythos genannt. Diese japanischen Autoren sehen sich klar von Lovecrafts Mythos inspiriert, ihre Werke existieren jedoch auch eigenständig für sich außerhalb dieses Kontexts. Unter einem ähnlichen Aspekt wurde auch das einleitende Beispiel Shiki noch einmal aufgegriffen. Durch Kommentare der Autorin und einer genaueren Untersuchung der Erzählung, wurde seine Verortung in Japan und sein Aufgreifen spezifischer Thematiken nachvollzogen; der Anime und Roman zeigen sich als klar von Stephen King beeinflusste, aber gleichzeitig auch eigenständige Werke, welche auf ganz eigene Probleme verweisen und eine spezifische Art Spannung zu erzeugen beinhalten.
Abgeschlossen wurde der anschauliche Vortrag durch den Vorschlag eines prozessualen Kulturbegriffs und einer Fokussierung auf die Autoren und den Entstehungszusammenhang eines Werkes – im Gegensatz zu einer Einordnung in starre Begriffe wie „den japanischen Roman“, „Manga“ oder „Anime“, um derartige komplexe Zusammenhänge angemessen beschreiben zu können.
Eine völlig andere Perspektive auf das Thema der Verarbeitung westlicher populärkultureller Produkte in Japan bot Melissa Sohlich, auch Masterstudentin an der HHU. In ihrem Vortrag „Zwischen Sissi, Benny Goodman und Metal: Adaptionen westlicher Kulturprodukte in der Takarazuka-Revue“ veranschaulichte sie die fast 100jährige Geschichte des japanischen Takarazuka-Theaters. Seit Gründung im Jahre 1913 konnte das Revue-Theater mit seinen ausschließlich weiblichen Mitgliedern eine breite Fangemeinde sammeln und sich einen ganz eigenen Platz in der japanischen Unterhaltungslandschaft sichern.
Anhand der Umsetzung des Musicals Elisabeth von Michael Kunze oder der Adaption des Liedes „Sing, Sing, Sing“ von Benny Goodman erläuterte Sohlich, wie durch die Anpassung westlicher (Pop-) Kulturprodukte an die Vorstellungen eines japanischen Publikums, an den Rahmen der Revue und an die Werte, die die Revue seit ihrer Gründung vertritt – „Sei unschuldig, aufrichtig und schön“ (jap. kiyoku, tadashiku, utsukushiku) – eine ganz eigene Ästhetik hervorbracht wird. Gleichzeitig wurde die relative Verschlossenheit der japanischen Fangemeinde speziell gegenüber ausländischen Fans aufgezeigt. In Kombination mit den eher konservativen Werten, die durch die Takarazuka-Revue vermittelt werden sollen, zeigt sich hier, wie trotz aller von „außen“ aufgenommener Einflüsse aktiv ein eigener Raum konstruiert und abgegrenzt wird.
Im zweiten Themenblock mit dem Titel GLOBAL, nahmen sich die Referenten Beispiele aus der Landschaft der westlichen Unterhaltungsmedien vor. Unter der Verwendung dieser Exempel sollte gezeigt werden, wie in der Gegenwart Prozesse in japanischen Medien ablaufen und ähnliche Muster auch im Westen anzutreffen sind. Wie auch schon im ersten Themenblock herausgestellt, ist es heute nicht mehr ausreichend, nationale Ursprünge als Grenze anzusehen, wie diese Beiträge auch verdeutlichen konnten.
Katharina Hülsmann, Masterstudentin an der HHU, verknüpfte in ihrem Vortrag „Sucker Punch im internationalen Datenbankmodell“ einen aktuellen Blockbuster mit dem Database-Modell nach Azuma Hiroki. Dadurch sollte verdeutlicht werden, dass sich auch im Westen an der von Azuma attestierten Datenbank von Archetypen und Standardmodellen fiktiver Werke bedient wird. Teilweise stark beeinflusst durch Manga-esque Entwürfe und Settings, stellt Sucker Punch für Hülsmann ein Paradebeispiel für solch eine grenzüberschreitende Teilnahme an einem als Otaku-Konzept entworfenen Modell dar.
Außerdem warf sie die These auf, dass die sogenannte „Otaku-Kultur“, sowie das daraus hervorgegangene Database-Modell, keineswegs rein japanische Konzepte sind, da sich diese in postmodernen Theorien (auch nach Jean Baudrillard) begründen. Von Theoretikern wie Ôtsuka Eiji und Azuma Hiroki wurden diese Konzepte, zum „konsumieren und produzieren“, jedoch lediglich für Japan entworfen. Hülsmann schlägt daher vor, dass man diese in Japan entworfenen Modelle vielmehr als Grundlage für einen aktuellen, globalen Mediendiskurs nutzen sollte.
Diesmal mit einem Beispiel aus dem amerikanischen Kinder- und Jugend-TV, folgte Kenji-Thomas Nishino, Promovent an der Universität Bonn, mit dem Titel „Avatar – The Genderbender“. Er eröffnete mit der These, dass, obwohl sich die Serie an ein jüngeres Publikum richtet, sie dennoch hoch komplex sei und auf verschiedenen Ebenen analysiert werden könne. Als Beispiel wählte er hier hybride Formen von Geschlechter-Konstruktion, welche sich als überraschend vielschichtig und variabel für eine „Kinderserie“ herausstellen.
Die Spannung der Serie, so Nishino, ist begründet in der flexiblen, nicht an binäre Strukturen gebundenen Geschlechterzuteilung, welche jenseits von simplen Männer- und Frauenrollen konstruiert wird. Geschlecht, von der Perspektive der Gender- und Queer-Studies, wie z.B. nach der von Nishino zitierten Judith Butler betrachtet, erhält also in der Serie eine definitive narrative Funktion. Nishino stellt jedoch fest, dass sich die Serie dennoch nicht gegen eine klassische Geschlechterverteilung ausspricht, diese letztendlich sogar bestätigt und moralisch positiv bewertet. Und auch wenn sich dieser Beitrag nicht direkt mit der Frage nach japanischem oder westlichen Ursprung beschäftigte, so war die Betrachtung einer Serie, die sich ganz klar als Mischform aus amerikanischer und japanischer Populärkultur inszeniert, doch sehr aufschlussreich
Der dritte Themenblock PERFORMANCES befasste sich einerseits mit performativen Identitätsentwürfen jenseits von festen nationalen Grenzen, als auch mit kulturellem Austausch über diese hinaus. Die Globalisierung kultureller Aspekte zeigt sich vor allem durch international vermittelnde Akteure, sowie neue Entfaltungs- und Verbreitungsmöglichkeiten über kontemporäre Formen visueller Medien.
Oliver E. Kühne, Mitglied des Promotionsverbunds „Heilige Texte“ der Universität Tübingen, begann den Block mit seinem Vortrag „(Trans-)kulturelle Grenzgänger – Otaku-Kultur als subversiver Hybridraum kulturellen Erlebens“, der den Versuch der kulturellen Verortung einer Person darstellte, die 2010 durch filmische Performanz über die Internet-Platform youtube ein im Verhältnis beachtliches Maß an Bekanntheit in Japan erlangte. Beckii Cruel betrieb Cosplay von bekannten Anime-Charakteren oder stellte eigene Moe-Outfits zusammen, in denen sie ParaPara-Tanzimprovisationen vorführte. So wurde ein japanischer Manager auf sie aufmerksam, was zur Veröffentlichung von CDs, Photobooks und Auftritten in Fernsehsendungen und Werbespots führte. Rebecca Flint befindet sich durch ihre von nationalen Ursprüngen losgelöste und somit transkulturell konstruierte Identität namens Beckii Cruel in konstanter Fluktuation. Um also das Forschungsobjekt nicht in seiner Freiheit, mehrere Identitäten zu besitzen, zu beschneiden, schlug Kühne deshalb vor, Phänomene dieser Art als eine Splitter- oder Mosaik-Kultur zu begreifen.
Diese Begrifflichkeit leitet Kühne von den Theorien von Judith Butler und Julia Kristeva ab, die beide in ihrem intertextuellen Verständnis eine definitive Zuschreibung geschlechtlicher und nationaler Eigenschaften und Identitäten als fragwürdig herausstellten. Beide beschreiben ein Bild vom Reisen zwischen Identitäten und Nationen, die niemals endet und bei der sich das Individuum immer im Wandlungsprozess befindet. Zwar begründet Kristeva den Grund dieser Verbildlichung darin, dass Individuen, die sich von ihrer ursprünglichen Nationalität entfremdeten, niemals die ihnen fremde Sprache perfekt erlernen können und somit nur eine Prothese zum kommunizieren verwenden; Beckii Cruel jedoch braucht keine Kenntnis der japanischen Sprache, nicht einmal „der“ japanischen Kultur. Sie wählt gezielt aus japanischer Pop-, bzw. Subkultur Fragmente heraus, setzt sie mehr oder weniger originell zusammen und spricht nicht, sondern schweigt unter Fremden, fühlt sich jedoch mit diesen verbunden, indem sie tanzt.
Im letzten Vortrag des Symposiums mit dem Titel „Rollenspiele im Fluss: Zur Geschichte und Aneignung in Japan“ stellte Björn-Ole Kamm, Promovent im Cluster of Excellence der Universität Heidelberg, sein Promotionsvorhaben vor. Rollenspiele wurde hier verstanden als Sammelbegriff für popkulturelle Unterhaltungsspiele mit verschiedensten Wurzeln, von denen sowohl analoge als auch digitale Varianten, also Karten- und Computerspiele, in den 1970er Jahren auch Japan erreichten. Durch den erfolgreichen Beitrag digitaler japanischer Rollenspielreihen wie Final Fantasy auf globaler Ebene, wird der Begriff RPG (roleplaying game) mittlerweile sowohl in Japan, als auch im Westen mit Konsolenspielen gleichgesetzt; in dem Westen, wo das Rollenspiel eigentlich als Tabletop-Spiel seinen Anfang nahm.
Der Vortrag bot einen historischen Überblick der Entwicklung und Transformation dieser Spielgattung in Japan, als auch der flows zwischen japanischen, amerikanischen und europäischen Rollenspielern. Kamm bezog sich dabei vor allem auf die speziell in Japan gegebenen Rahmenbedingungen der Adaption und nannte die Relevanz kosmopoltischer Akteure innerhalb dieses Kontextes. Hierzu verwendete er Ergebnisse aus qualitativen Interviews mit japanischen Rollenspielern, die sich auch in ihrer Funktion als kosmopolitische gatekeepers erweisen, sowie Expertengesprächen mit Game Designern und Illustratoren. Hierbei ergab sich z.B., dass das im Westen sehr beliebte LARP (live-action roleplaying) in Japan nicht ausgelebt wird und auch die Identifikation mit den gespielten Rollen nur insofern stattfindet, als dass es der Entwicklung der Handlung des Spieles hilfreich ist. In seiner Arbeit möchte Kamm die Akteure, die sich international austauschen, mit dem kommunikationswissenschaftlichen Konzept der opinion leaders vergleichen.
Im Laufe des Symposiums kam es zu einer lebendigen Debatte, welche sich auf verschiedenen Ebenen um die Frage nach Japanizität und neuen kulturellen Denkmustern im gegenwärtigen Kontext drehte. So war eine der leitenden Fragen, wie man heutzutage neue Methoden finden könne, um Popkultur und entsprechende Produkte wissenschaftlich zu untersuchen. Eine Frage, die natürlich besonders für angehende Wissenschaftler von grundlegendem Interesse ist. Dabei wurden auch die diversen Felder deutlich, auf denen gedankliche Grenzen gezogen, aber auch wieder eingerissen werden müssen.
Bericht: Sebastian Boehnert, Andreas van Straalen, Franziska Ritt
Fotos: Melissa Sohlich