Monate: Februar 2010

Berlinale-Nachlese: Sawako decides

夢みたいな物はべつにないですし „Sowas wie einen Traum hab ich eigentlich nicht …“ Sawako, die Hauptfigur von Ishii Yuyas Film Kawa no soko kara konnichi wa („Sawako decides“), hat keine besonderen Ansprüche. Schließlich hat sie selbst längst erkannt, dass sie als Frau nur „unteres Mittelmaß“ ist und das nehmen muss, was ihr gerade vor die Nase kommt. Seit fünf Jahren in Tôkyô, der fünfte miese Zeitarbeits-Job in Folge, der fünfte Freund – Sawako kann nicht gerade eine Muster-Biographie vorweisen. Zwar versucht sie regelmäßig, ihre Sorgen mit Darmspülungen wegzuschwemmen, doch auch das will nicht recht gelingen. Im japanischen Fernsehen sind Geschichten über perspektivlose junge Menschen in letzter Zeit ein sehr populäres Thema. Die Drehbuchschreiber haben schnell auf die Phänomene reagiert, die mit der Entwicklung einer Polarisierungsgesellschaft (kakusa shakai) und mit der Wirtschaftskrise einhergehen: Jugendarbeitslosigkeit, Präkarisierung, Heiratsproblematik. Alle diese Themen werden in Fernsehserien (terebi dorama) aufgegriffen. Was dann meist folgt ist allerdings eine Bilderbuch-„ganbaru-story“. Der Protagonist findet – ob durch ein bestimmtes Ereignis oder durch die Anregung einer anderen Person – ein neues Ziel im Leben und setzt alle seine …

Berlinale-Nachlese: Parade

Yukisada Isao ist bereits ein echter Berlinale-Profi. Parade, eine Adaption eines Romans von Yoshida Shuichi, der dafür 2002 den Yamamoto Shugoro-Preis gewann, ist schon der dritte Film, den er auf der Berlinale präsentiert (GO 2002, Kyo no dekigoto 2004). Vier junge Leute wohnen zusammen in einer WG, aber haben sonst nicht viel gemeinsam. Ryosuke ist Student, jobbt nebenher und ist in die Freundin eines Freundes verliebt. Kotomi ist arbeitslos und schaut den ganzen Tag fern. Am liebsten guckt sie dorama in denen ihr Freund mitspielt, der sie ab und zu mal anruft, wenn er Sex haben will. Mirai ist Zeichnerin und verbringt die Abende in irgendwelchen Bars. Naoki ist scheinbar der normalste unter den WG-Bewohnern. Er arbeitet für einen Filmverleih und ist der Hauptmieter der Wohnung. Eines Morgens finden die Mitbewohner Satoru schlafend auf ihrem Wohnzimmersofa. Anscheinend hat Mirai den Stricher auf einer ihrer abendlichen Streifzüge aufgegabelt und mit nach Hause genommen, auch wenn sie sich nicht mehr daran erinnern kann. Satoru bleibt und wird in die Gemeinschaft mit aufgenommen als wäre er schon immer …

Berlinale-Nachlese: Otôto / Otouto

Yamada Yôji (79), vor allem bekannt als der Regisseur der Serie Otoko wa tsurai yo („Tora-san“), zeigte auf der diesjährigen Berlinale sehr große Präsenz: Mit Kyôto Uzumasa Monogatari („Kyoto Story“) und Otôto („About her brother“) stellte er gleich zwei Filme vor, er bekam die Berlinale-Kamera verliehen und stellte sich in einer Diskussionsrunde den Fragen der jungen Filmschaffenden des „Berlinale Talent Campus“. Otôto, der als Abschlussfilm bei der Preisverleihung gezeigt wurde, ist ein klassisches Familiendrama, das stark von Yamadas Wurzeln im japanischen Studiosystem geprägt ist. Als Yamada 2008 mit seinem Film Kâbei („Our Mother“) zur Berlinale aufbrach, erfuhr er noch auf dem Flughafen in Japan, dass sein Kollege Ichikawa Kon gestorben sei. „Ich war sehr traurig, Ichikawa war ein großes Vorbild für mich“, erklärte Yamada beim Berlinale Talent Campus. In Berlin habe er dann viel über Ichikawa nachgedacht und beschlossen, als Hommage an Ichikawa einen Film zu machen, der sich an dessen Otôto (おとうと, 1960) anlehnt. Bei Yamada wie Ichikawa geht es um das Verhältnis einer älteren Schwester zu ihrem jüngeren Bruder, einem rechten Taugenichts, der …

Japan auf der Berlinale: Golden Slumber

„Golden Slumbers“, ein Song der Beatles auf dem Album „Abbey Road“, ist ein Wiegenlied, das heilsamen Schlaf verspricht: „smiles awake you when you rise“. Der Kurierfahrer Aoyagi hat es früher gerne mit seinen drei besten Freunden gehört, Morita, Kazu und Haruko. Zu viert zogen sie durch die Fast-Food-Restaurants in Sendai, auf der Suche nach den besten Burgern. Im Sommer halfen sie dem örtlichen Pyrotechniker, den Nachthimmel mit  riesigen Feuerwerksblumen zu schmücken. Aber, wie Saitô Kazuyoshi im Abspann des Films singt: 今歩いているこの道は いつか懐かしくなるだろう – „Auf den Weg, den Du gerade gehst, wirst Du irgendwann wehmütig zurückblicken.“ Zehn Jahre später hat Aoyagi seine Freunde aus den Augen verloren und sitzt richtig in der Scheiße, und zwar so, dass er sich schließlich sogar auf einen verrückten Serienmörder als Vertrauten einlassen muss. Der japanische Premierminister ist bei einem Bombenattentat ums Leben gekommen – und Aoyagi gilt als der Terrorist, der dafür verantwortlich ist. Dabei wollte er nur mit seinem alten Freund Morita angeln gehen. Ganz Sendai ist abgeriegelt und die Polizei veranstaltet eine unerbittliche Treibjagd, die nur darauf ausgelegt zu …

Film-Stau auf der Berlinale

Nur noch zwei Berlinale-Tage und immer noch keine neue Filmkritik: Stephanie Klasen und ich bitten noch um ein bisschen Geduld. Zwischen Anstehen, zum nächsten Kino hetzen und schnell eine Bockwurst verschlingen bleibt gerade wenig Zeit. Es sei aber schon einmal so viel verraten: Es gab richtig viel zu Lachen, eine Begegnung mit einem Anime-Meister und eine dicke Portion „ganbaru-spirit“. Ganz bald hier mehr! Elisabeth Scherer

Japan auf der Berlinale: Caterpillar

„Und die Qualen des arms eligen Krüppels waren für sie nichts als ein Stimulans, von dem sie nie genug bekam.“ Edogawa Rampo, der bekannteste Autor sogenannter suiri shôsetsu 推理小説 (literarisches Genre zwischen Krimi, Mystery und Horror), schildert in seiner 1929 erschienenen Geschichte Imomushi 芋虫 („Die Raupe“) die Beziehung zwischen einer Frau und ihrem Ehemann, der aus dem Krieg zwar als hochdekorierter Held, aber auch als völliger Krüppel nach Hause kehrt: Ihm fehlen Arme und Beine, er kann weder hören noch sprechen und sein Gesicht ist entstellt. In der tief verstörenden Erzählung dient der zum Fleischklumpen verkommene Mann der Frau als Spielzeug, das sie nach Belieben hervorholt und zur Lustbefriedigung nutzt. Ein schwieriger Stoff für eine filmische Umsetzung, an die sich nun Wakamatsu Kôji gewagt hat. Ein zimperlicher Umgang war von Wakamatsu nicht zu erwarten, schließlich blickt der 73-Jährige auf eine lange Karriere als Regisseur von pink eiga und Exploitation-Filmen (z.B. Yuke yuke nidome no shôjo) zurück. Mut bewies er unter anderem auch, als er 1976 Ôshima Nagisas Skandalfilm Ai no corrida („Im Reich der Sinne“) produzierte. In seiner …

Bericht zum Workshop „Japan-Pop“

Handyromane, Boys‘-Love-Manga, Visual Kei und „Cool Japan“ – ein breites Angebot an Themen stand auf dem Programm des Japan-Pop-Workshops, den das Institut für Modernes Japan (Organisation: Julia Schmitz und Elisabeth Scherer) am 29. Januar 2010 veranstaltete.  Entsprechend groß war auch der Andrang: Mehr als 100 Interessierte kamen im Vortragssaal der Universitätsbibliothek zusammen, darunter auch Studierende aus Trier, Bonn und Frankfurt. Dem neuen literarischen Phänomen Handyroman (keitai shôsetsu) widmete sich Johanna Mauermann (Universität Frankfurt) in ihrem Vortrag. Etwa seit dem Jahr 2000 verzeichnen in Japan Geschichten, die eigens für das Lesen auf dem Handy verfasst werden, sehr große Erfolge. Im Jahr 2007 waren in Japan auf der Liste der zehn meistverkauften Romane des Jahres fünf Werke vertreten, die ursprünglich als Handyroman erschienen waren. Johanna Mauermann erläuterte die Entstehungsgeschichte der keitai shôsetsu, stellte einige Beispiele vor und wies auf die Besonderheiten dieses literarischen Genres hin. Ein Handyroman diente zum Beispiel auch als Vorlage für die erfolgreiche Fernsehserie Akai Ito (Fuji TV, 2008/2009). Marco Höhn (Universität Bremen) thematisierte in seinem Vortrag „Visual Kei – eine populäre Medienkultur (in …